Jahn in Liga 2: Statt torlos, jetzt auch noch Schießbude in Nürnberg
Nürnberg. Langsam fehlen die Worte: Da holt der SSV Jahn ein 0:2 und ein 2:3 auf, ist nach dem 3:3 dem 4:3 näher als der Club – und geht dann doch mit 3:8 unter. Der kurze Wortwechsel zwischen Achim Beierlorzer und Joe Enochs nach dem Abpfiff wirkt fast wie eine Verabschiedung.

Was soll man davon halten? Der Jahn startet wie gewohnt mit einem Fehlerfestival und liegt nach 23 Minuten mit 0:2 im Rückstand. Die abermals umformierte Abwehr wegen der Sperren von Leopold Wurm und Bryan Hein ist völlig überfordert. Ein wenig wundert man sich schon, warum Mentalitätsmonster und Kapitän Andi Geipl schon wieder auf der Bank schmoren muss.
Robin Ziegele ist, bei allem Respekt vor seinem großen Kämpferherz, einfach zu langsam für die schnellen Nürnberger Stürmer im Allgemeinen und den griechischen Wirbelwind Stefanos Tzimas im Besonderen. Und Jonas Bauer seinem Startelf-Debüt in dieser kritischen Situation einfach nicht gewachsen.
- Julian Justvan zieht an, schöne Kombination über Mahir Emreli und Jens Castrop, Stefanos Tzimas versucht am linken Fünfereck Justvan zu bedienen, bekommt die geblockte Kugel erneut vor die Füße und schlenzt der sie aus spitzem Winkel ins rechte Eck, 1:0 (17.).
- Ecke für den Club, Justvan scharf von rechts, Christian Viet verlängert unfreiwillig Richtung Tor, wo Emreli aus 30 Zentimetern am chancenlosen Gebhardt vorbei zum 2:0 einnetzt (23.).
Jahn-Fans reiben sich die Augen
Doch was nach kaum einer halben Stunde bereits nach fränkischem Schützenfest aussieht, scheint plötzlich in eine ganz andere Richtung zu driften. Dominik Kother erkämpft sich beherzt die Kugel, setzt den heute besten Regensburger, Eric Hottmann, in Szene, der die Kugel zum 1:2 per Unterlatte ins Nürnberger Gehäuse wuchtet (36.).
Und dann kann man sich nur noch die Augen reiben: Nach einer Ecke von Kai Pröger geht Robin Knoche unglücklich mit der Hand zum Ball, Christian Viet wartet geduldig die VAR-Prüfung ab, versetzt FCN-Keeper Jan Reichert und gleicht aus, 2:2 (42.) – der Jahn lebt noch und wird jetzt mutiger. Denkt man. Stattdessen geht Justvan durchs Jahn-Mittelfeld wie Messer durch warme Butter, Ondřej Karafiat fummelt die Kugel am 16er mit dem Rücken zum Tor blind in die Box, Danilo Soares legt noch einmal zurück auf Justvan, der mit dem linken Außenrist ins rechte Eck trifft, 3:2 (45. + 1).
Dreht Regensburg das Spiel?
Und doch hat man nach der Pause den Eindruck, die Regensburger hätten ein klein wenig von Obelix‘ Zaubertrank genascht. Sie spielen jetzt zielstrebig nach vorne, erobern Ball um Ball. Viet holt sich die Kugel am Strafraumrand, will auf Sebastian Ernst spielen, der nicht zum ersten Mal wegrutscht – gut so, denn dadurch bekommt Pröger freie Bahn über rechts, zieht ab und das Leder dreht sich flach unten links ins Eck, 3:3 (49.).
Jetzt wirkt der Club tatsächlich angezählt. Regensburg hat ein Übergewicht, will keineswegs das Remis absichern, sondern geht auf den zweiten Saisonsieg. Doch dazu braucht es halt auch eine vernünftige Absicherung. Nach einem – eventuellen – Handspiel von Luis Breunig, der bei einer Flanke angeschossen wird, tritt natürlich Justvan den Freistoß von halbrechts. Der lasche Schuss geht durch Freund und Feind, Gebhardt, der den Ball spät sieht, kann das Malheur nicht verhindern, 4:3 (59.).
Ziegele trifft, aber nur die Beine
Und noch einmal sieht es nach einer Oberpfälzer Wiederauferstehung aus: Freistoßflanke von Pröger, Kother schießt Reichert an, den Abpraller donnert Ziegele unter die Latte. Aber Freude kommt nicht auf – die Fahne ist oben, Kother bereits beim ersten Versuch einen Schritt im Abseits (64.). Stattdessen sorgt der Fast-Torschütze selbst für die Nürnberger Vorentscheidung. Der eingewechselte Benjamin Goller legt nach links raus, Justvan lässt passieren, der frische Berkay Yilmaz will an Ziegele vorbei, der ihn dabei weggrätscht – Schiri Robin Braun zeigt sofort auf den Punkt, Justvan versetzt Gebhardt und verwandelt ins linke untere Eck, 5:3 (74.).
Jetzt ist der Jahn wieder in der Verfassung der vorangegangenen Pleiten. Castrop läuft alleine auf Gebhardt zu, schiebt den Ball aus elf Metern am linken Pfosten vorbei (79.). Was nicht ist, kann gegen den jetzt vogelwilden SSV jederzeit nachgeholt werden. Gebhardt will Ziegele anspielen, der 10 Jahre jünger sein müsste, um diesen Ball zu erreichen – Justvan spielt Lukas Schleimer frei, der alleine vor dem Jahn-Keeper zum 6:3 einnetzt (80.).
Völlige Auflösung und eine Keeper-Rüge
Was im Mittelfeld über eine Stunde ganz passabel funktioniert, ist durch die Wirkungstreffer der Franken völlig passé. Ballverlust im Mittelfeld, Castrop startet an Viet und Ziegele vorbei in den Strafraum, und schiebt Gebhardt die Kugel durch die Beine ins Tor, 7:3 (83.).
An dieser Stelle eine kleine Rüge an den Keeper: Nicht, dass Felix Gebhardt das Regensburger Schlamassel zu verantworten hätte – meistens verhindert er Schlimmeres. Heute aber hat auch er an zwei, drei Treffern Aktien. Und sollte etwas weniger hadern und mosern, und sich ab und zu auch mal an die eigene Nase fassen.
Joe Enochs letzte Worte?
Jetzt nähern wir uns langsam einem Kinder-Handballergebnis. Schleimer stibitzt sich die Kugel im Jahn-Strafraum, legt zurück zum tschechischen Abwehrmann Karafiat, der aus rund 20 Metern draufhält. Gebhardt ist unterwegs nach links, Alexander Bittroff fälscht die Kugel ins rechte Eck ab, 8:3 (90. + 1).
Und als wollten die Oberpfälzer jede Wahrscheinlichkeit außer Kraft setzen, beteiligt sich auch noch Elias Huth am Schützenfest: Der Abstauber nach Pfosten- und Lattentreffer zum möglichen 8:4 wird minutenlang geprüft, als stünde der Weltfrieden auf dem Spiel. Ja, man muss leidensfähig sein als Regensburger in dieser Saison. Schließlich entscheidet der Schiri nach Ansicht der Bilder auf Handspiel (90. + 4).
Was auch nachdenklich stimmt: Nach dem Schlusspfiff hat Joe Enochs seinem Sportchef noch etwas im Vertrauen mitzuteilen. Fast wirkt es so, als würde der Kalifornier vor dem Schluss-Kreis das Handtuch werfen. Achim Beierlorzer lauscht mit versteinerter Miene. Muss der Erfolgstrainer des vergangenen Aufstiegs jetzt wieder selber ran?
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