Gefährdete Demokratie: Politischer Extremismus ist auch heute lebensgefährlich

Vohenstrauß. „Wer glaubt, die Ereignisse von damals, haben mit der Gegenwart nichts mehr zu tun, der irrt.“ Mit diesem Zitat stellt Buchautor Siegfried Kratzer im Café Friedrich klar, dass das Schicksal von Dietrich Bonhoeffer und des Holocaust-Überlebenden Alexander Fried sehr aktuell ist.

Dorothea Woiczechowski-Fried und Siegfried Kratzer (rechts) im Café Friedrich. Foto: Maria von Stern

Im Vohenstraußer Café Friedrich kreuzten sich nicht zum ersten Mal die Wege des Buchautors Siegfried Kratzer und von Dorothea Woiczechowski-Fried, Witwe des Holocaust-Überlebenden Alexander Fried und Tochter einer jüdischen Mutter, die den Nazi-Schergen nur knapp entrann.

Auf Einladung der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Vohenstrauß und der Koordinierungs- und Fachstelle der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Neustadt/WN las Kratzer aus seinem Buch „Gegen Krieg, Massenmord und Tyrannei“.

Woiczechowski-Fried skizzierte in ihrem ergreifenden Vortrag die unfassbare Odyssee ihres verstorbenen Mannes aus seiner slowakischen Heimatstadt Žilina in drei deutsche Konzentrationslager, den Todesmarsch an die Ostsee, die abenteuerliche Rückkehr, die Flucht aus der stalinistischen Tschechoslowakei bis zur ersten Begegnung mit Alexander Fried in Tirschenreuth.

Hetzer ohne Tabus

An den Holocaust zu erinnern, ist kein sinnentleertes Ritual. In einer Gegenwart, in der immer mehr Tabus fallen, in der Judenhass wieder und noch immer bittere Realität ist, in der politische Hetzer ganze Nationen oder Glaubensrichtungen kollektiv zu Tätern abstempeln, in der die Vertreibung von Millionen Menschen gefordert und mit zynischen Plakaten von Remigrations-Urlaubsflügen verharmlost wird, ist es höchste Zeit, daran zu erinnern, wohin politischer Extremismus führen kann.

Oder in den Worten des langjährigen Vorsitzenden des Evangelischen Bildungswerks Oberpfalz: „Wer glaubt oder glauben machen will, die Ereignisse von damals, haben mit der Gegenwart nichts mehr zu tun, der irrt.“ Kratzer betont: „Vergangenheit vergeht nicht, lässt sich nicht entsorgen. Wer wissen will, wie es weitergeht und wohin er soll, muss wissen, woher er kommt.“

Nicht mehr sicher?

Auch im vorgeschalteten Interview, das Siegfried Kratzer mit Dorothea Woiczechowski-Fried führt, wird deutlich, wie aktuell der Schrecken von damals der Überlebenden in den Knochen sitzt: „Antisemitismus nimmt leider wieder zu“, sagt Kratzer. „Ich habe ihn bereits in der Schule erlebt“, antwortet die Tirschenreuther Kinderärztin. „Mit dem Kriegsende hörte der Judenhass nicht auf, die Lehrer haben es mich sehr spüren lassen, dass ich Jüdin bin.“

„Fühlst du dich in Deutschland unsicher?“, will der pensionierte Amberger Lehrer wissen. „Ja, ich fühle mich nicht mehr so sicher wie früher“, gesteht Dorothea. Und selbst Alexander Fried, der trotz seines schrecklichen Schicksals und der Ermordung fast aller Familienmitglieder durch die Nazis immer an das Gute im Menschen glaubte, habe am Ende seines Lebens die bange Frage gestellt: „Wollen wir noch hierbleiben?“ Wegen des wunderbaren Freundeskreises sei man geblieben.

Wollen sie wieder die Menschheit ins Unglück stürzen?

Wer die Lebensgeschichte von Alexander und Dorothea hört, kann kaum fassen, dass sich das tapfere Paar am Lebensabend erneut Sorgen um jüdisches Leben in Deutschland machen muss. „Ich würde alle Menschen guten Willens bitten“, hatte Alexander appelliert, „aufzuhören mit den nationalistischen Übertreibungen“, die wieder salonfähig geworden sind.

Er, der es als Lebensaufgabe betrachtete, jungen Deutschen ohne Vorwurf sein Schicksal zu schildern, um eine Wiederholung des Massenmords aus rassistischer Verblendung zu verhindern, musste miterleben, dass davor auch die nächste Generation nicht gefeit ist. „Wollen sie wieder die Menschheit ins Unglück stürzen“, fragte er bestürzt, „war die Shoah nicht genug?“ Und wen das Schicksal der Welt kaltlässt: „Was wollen diese Nationalisten?“, konnte er den Zulauf zur AfD nicht verstehen. „Damals haben die Nazis Deutschland völlig zerstört – hat man nicht genügend gelitten?“

Dorothea Woiczechowski-Fried mit ihrer Freundin und Hundeflüsterin Cornelia Kisser. Foto: Jürgen Herda

Bonhoeffer fordert aktiven Widerstand

Einer, der zu seiner Zeit hellsichtig genug war, um zu sehen, wohin antisemitischer Hass führt, war Dietrich Bonhoeffer: „Er hat früh erkannt, dass durch die nationalsozialistische Machtübernahme die jüdische Bevölkerung gefährdet ist“, schildert Kratzer die Entwicklung des jungen Mannes aus bürgerlichem Haus zu einem evangelischen Christen der bekennenden Kirche. „Als der Arier-Paragraf erlassen wurde, verfasste er die berühmte Schrift ,Kirchen vor der Judenfrage‘.“

Darin habe er sich energisch gegen den drohenden „Arier-Paragrafen“ ausgesprochen, der zur Entlassung aller Nicht-Arier aus dem Kirchendienst führte. Auch die Passivität seiner eigenen Kirche habe er kritisiert. Zu einem Mithäftling im Gefängnis Tegel habe er gesagt: „Wenn ein Wahnsinniger auf dem Kurfürstendamm sein Auto auf den Gehweg steuert, muss ich hinzuspringen und ihn vom Steuer reißen – und das heißt mit Gewalt.“

Arno Speiser von der Koordinierungs- und Fachstelle der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Neustadt/WN (links) im Gespräch mit Buchautor Siegfried Kratzer (Mitte) und Christina Ponader von der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Vohenstrauß. Foto; Jürgen Herda

Hitler selber erschießen“

Die Brücke zu den Widerstandskämpfern der „Deutschen Abwehr“ unter Admiral Wilhelm Canaris habe Hans von Dohnanyi gebaut. Dessen Sohn, Klaus von Dohnanyi, langjähriger Regierender Bürgermeister Hamburgs, habe in einem Interview gesagt: „Mein Vater hat sich solche Vorwürfe gemacht, dass er Bonhoeffer zur Abwehr gebracht hatte.“ Und damit letztlich in die Hände der Gestapo. Aufgrund von Bonhoeffers entschiedener Überzeugung darf allerdings bezweifelt werden, dass er sich davon hätte abschrecken lassen.

„Wenn man mir ein Gewehr gibt“, zitiert Kratzer den christlichen Dissidenten, „würde ich Hitler selber erschießen, aber zuvor aus der Kirche austreten – und wenn es geht, danach wieder eintreten.“ Dazu ist es leider nicht gekommen. Am 5. April 1943 wurde er verhaftet und zwei Jahre später auf ausdrücklichen Befehl des Diktators als einer der letzten NS-Gegner, die mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 in Verbindung gebracht wurden, hingerichtet.

Gut besuchtes Café Friedrich bei den Lesungen von Siegfried Kratzer und Dorothea Woiczechowski-Fried. Foto: Jürgen Herda
Gut besuchtes Café Friedrich bei den Lesungen von Siegfried Kratzer und Dorothea Woiczechowski-Fried. Foto: Jürgen Herda
Siegfried Kratzer (von rechts), Dorothea Woiczechowski-Fried und Christina Ponader im Café Friedrich. Foto: Maria von Stern
Siegfried Kratzer (von rechts), Dorothea Woiczechowski-Fried und Christina Ponader im Café Friedrich. Foto: Maria von Stern
Siegfried Kratzer (von rechts), Dorothea Woiczechowski-Fried und Christina Ponader im Café Friedrich. Foto: Jürgen Herda
Siegfried Kratzer (von rechts), Dorothea Woiczechowski-Fried und Christina Ponader im Café Friedrich. Foto: Jürgen Herda
Der Büchertisch mit Literatur zu den beiden Lesungen von Siegfried Kratzer und Dorothea Woiczechowski-Fried 
 im Café Friedrich. Foto: Maria von Stern
Der Büchertisch mit Literatur zu den beiden Lesungen von Siegfried Kratzer und Dorothea Woiczechowski-Fried im Café Friedrich. Foto: Maria von Stern
Gut besuchtes Café Friedrich bei den Lesungen von Siegfried Kratzer und Dorothea Woiczechowski-Fried. Foto: Jürgen Herda
Siegfried Kratzer (von rechts), Dorothea Woiczechowski-Fried und Christina Ponader im Café Friedrich. Foto: Maria von Stern
Siegfried Kratzer (von rechts), Dorothea Woiczechowski-Fried und Christina Ponader im Café Friedrich. Foto: Jürgen Herda
Der Büchertisch mit Literatur zu den beiden Lesungen von Siegfried Kratzer und Dorothea Woiczechowski-Fried 
 im Café Friedrich. Foto: Maria von Stern

Buchtipp: Gegen Krieg, Massenmord und Tyrannei

Bei Führungen im Konzentrationslager Flossenbürg erfährt der Besucher viel von Dietrich Bonhoeffer. Die anderen, hier und in Sachsenhausen am 9. April 1945 Hingerichteten, finden hingegen kaum Beachtung. Das vorliegende Buch bringt in Erinnerung, was bislang im Verborgenen schlummerte. Dazu zählen der bestimmende Einfluss Hans von Dohnanyis auf seinen Freund und Schwager Dietrich sowie die besondere Rolle von Admiral Wilhelm Canaris und Hans Oster.

Ebenso die Frage, warum der Widerstand der Deutschen Abwehr entdeckt worden ist und die von Zeitzeugen berichteten Grausamkeiten in Flossenbürg und Sachsenhausen Mord waren. Neben Überlegungen zum „christlichen Widerstand“ beleuchtet der Autor die zweifelhafte Haltung von Bonhoeffers Mitkämpfer Josef Müller.

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