Jahn in der Relegation: Wechselbad zwischen Genie und Wahnsinn gegen Wiesbaden
Regensburg. Trotz einiger Stockfehler hat der SSV Jahn in Hälfte 1 im Hinspiel der Zweitliga-Relegation den SV Wehen Wiesbaden weitgehend unter Kontrolle, führt verdient zur Halbzeit. In fünf haarsträubenden Minuten verspielt Regensburg die gute Ausgangsposition fast komplett.

Man hat es fast schon nicht mehr zu hoffen gewagt: Nach sechs fürchterlich ernüchternden Spielen ohne Esprit, Sieg und Wumms, zeigt der SSV Jahn in der ersten Hälfte des Relegations-Hinspiels um den Aufstieg in die Zweite Bundesliga gegen den SV Wehen Wiesbaden endlich einmal wieder sein bissiges Gesicht.
Zwar können die Regensburger die Nervosität nicht völlig ablegen, kommen Pässe nicht immer dorthin, wo sie die Offensive produktiv verarbeiten kann, geraten einige Kopfball-Abwehrversuche gefährlich zu kurz – aber unterm Strich lassen die Oberpfälzer in den ersten, gut 48 Minuten sehr zurückhaltenden Hessen kaum eine ernst zu nehmende Torchance.
Ziegeles Pressing, Kothers Übersicht, Ganaus Coolness
Im Gegenteil: das aggressive Pressing des Dritten der Dritten Liga wird belohnt: Robin Ziegele schmeißt sich im Mittelfeld in einen Zweikampf, schont weder Ball noch das eigene Schienbein – der souveräne Schiedsrichter Tobias Reichel erkennt auf Vorteil, lässt die Szene weiterlaufen – wofür sich anschließend Konrad Faber, zu dessen Verwunderung, so überschwänglich bedankt, dass der sich bedrängt fühlt.
Der Pressball landet bei Dominik Kother, der sich fast verdribbelt. Dann rutscht SV-Verteidiger Martin Angha aus, Kother sieht den Raum, in den Noah Ganaus genau mit richtigem Timing spurtet, legt dem langen Stürmer die Kugel exakt in den Lauf – Ganaus findet genau zum richtigen Zeitpunkt seine Coolness wieder und netzt zur Führung ein, 1:0 (27.). Den Vorsprung bringen die Gastgeber ohne Probleme in die Halbzeit.
Ohne Drama macht’s der Jahn nicht
Warum in aller Welt habt ihr diese Intensität nicht schon in den vergangenen sechs Spielen auf den Platz gebracht? Das möchte man den wieder erwachten Mentalitätsmonstern zurufen – bei abgestiegenen Freiburgern und biederen Kölnern hätten die Oberpfälzer mit diesem Biss den Aufstieg längst in trockenen Tüchern haben können.
Aber nein, ohne Drama macht’s der Jahn nicht. Deshalb beanspruchen die Regensburger dann auch zu Beginn der zweiten Hälfte die Nerven der Jahn-Fans unter den 13.378 Zuschauern wieder nach allen Regeln der Psychothriller-Kunst. Mit dem Dreifachwechsel der Wiesbadener und besonders dem quirligen Lee kommen die Rot-Weißen so gar nicht zurecht. Und plötzlich erkennt man sie wieder: die Mannschaft, die mit dem Hintern einreißt, was sie sich zuvor mühsam erarbeitet hat.
Wehens fiese Fummler-Kisten
Binnen fünf Minuten dreht der Zweitliga-16. das Spiel mit signifikanter Beihilfe der Heimmannschaft: Aleksandar Vukotić drischt die Kugel widerstandslos in den Sechzehner, Ivan Prtajin stochert am Leder, Jahn-Keeper Felix Gebhardt bekommt bange Sekunden keinen Zugriff, Robin Heußer fummelt den Abpraller durch die Beine über die Linie, 1:1 (66.). Gefühlte dreimal hatten die Regensburger die Kugel schon geblockt und bekommen sie doch nicht weg – die Quittung: der so was von überflüssige Ausgleich, gerade als sich der Jahn wieder etwas befreit hatte.
Damit nicht genug des Slapsticks: Ziegele, Kampfheld des Führungstors, prallt die Kugel am Mittelkreis an die Ferse, Gino Fechner schnappt sich das Rund, geht ab durch die Mitte, bedient Ivan Prtajin, seinen zentralen Schuss aus 20 Metern klatscht Gebhardt nach vorne ab wie Neuer in Madrid – der eingewechselte John Iredale vernascht Oscar Schönfelder, der beim Versuch zu klammern, auch noch mit der Hand an den Ball fasst, und findet mit der Hacke die Lücke, 1:2 (71.). Innerhalb von fünf Minuten das Spiel mit zwei Wahnsinns-Gastgeschenken auf den Kopf gestellt.
Kothers Hammer
Der Jahn versucht alles, wirkt aber zunächst geschockt. Trotzdem: Mit Standards setzen sich die Oberpfälzer zumindest wieder etwas in der Wehener Hälfte fest. Und das wird belohnt: Der bis dahin unauffällige Christian Viet steckt den Ball links in den Sechzehner auf Kother durch, der die Kugel eng am Fuß mitnimmt und das Ding aus spitzem Winkel ins rechte Torkreuz hämmert – Keeper Florian Stritzel machtlos, 2:2 (79).
Nerventest in den Schlussminuten für beide Teams: Lee zieht von der Strafraumgrenze mit links ab, Panther Gebhardt ist unten und wischt den verdeckten Schuss aus der linken Ecke (85.). Danach holt sich Lee, Wehens mit Abstand beste Einwechslung, eine Gelbe ab, nachdem er den etwas überraschend für Konrad Faber eingewechselten Bryan Hein umrennt (86.). Es bleibt beim insgesamt leistungsgerechten 2:2.
Jahn feiert am liebsten auswärts
Was machen wir jetzt mit diesem Hinspiel-Remis? Unter normalen Umständen ist es für die Wehener ein Teilerfolg, jetzt zu Hause vor voller Kulisse den Klassenerhalt mit einem Tor mehr auf der Anzeigentafel endgültig zu besiegeln. Andererseits ist der Jahn alles andere als eine Heimmacht mit Attacke-Charakter – den aufs Umschaltspiel geeichten Regensburgern kann es sogar entgegenkommen, wenn die Wiesbadener in der Brita-Arena ihr Spiel aufziehen wollen.
Immer vorausgesetzt, die Oberpfälzer halten die Konzentration so hoch wie in der ersten Hälfte heute und pressen die Hessen vom eigenen Strafraum weg. Und eines haben wir nicht vergessen. Außer gegen Wolfsburg 2 hat der Jahn keines der Relegationsspiele zu Hause gewonnen. Auch gegen den KSC und 1860 reichte es zu Hause nur zu einem mageren Unentschieden. Den Aufstieg feierten sie dann im Stadion der Gegner – unter zum Teil bürgerkriegsähnlichen Bedingungen.
Stimmen zum Spiel
Jahn-Cheftrainer Joe Enochs: „Wir haben in der ersten Halbzeit Wehen Wiesbaden sehr weit von unserem Tor weghalten können, machen ein super herausgespieltes Tor – Dominik schickt Noah in die Tiefe. Wir wollten die Geschwindigkeit ausnützen, die wir haben. Wir hatten noch ein paar andere Situationen, wo wir es besser zu Ende spielen können. In der zweiten Halbzeit mit den drei Wechseln haben wir ein bisschen Zeit gebraucht, um die Ordnung zu finden. Die zwei Gegentore sind definitiv zu vermeiden.
Das eine entsteht durch einen Ballverlust, wo wir nach vorne spielen wollen. Das müssen wir klarer spielen, besser spielen. Wenn wir nicht sauber nach vorne spielen können, müssen wir schauen, dass wir keinen Ballverlust haben. Ein Ballverlust in der Vorwärtsbewegung ist halt schwierig gegen eine Mannschaft, die sehr viel Geschwindigkeit auf dem Platz hat. Die zwei Gegentore ärgern uns, weil sie kamen eigentlich aus dem Nichts. Ja, und dann müssen wir zwei, drei Situationen überstehen, aber so wie die Mannschaft zurückgekommen ist, nachdem wir zwei Nackenschläge bekommen haben, sind wir sehr, sehr stolz, dass wir wieder ein super herausgespieltes Tor machen.
Dominik Kother hat da wirklich einen sehr, sehr guten Tag gehabt und wir freuen uns, dass wir so ein Unentschieden mit ins Rückspiel nehmen können. Das gibt uns sehr viel Zuversicht, über 90 Minuten mit so einer Mannschaft mithalten zu können, und teilweise besser zu sein, für das Rückspiel. Die Jungs nehmen immer den Ball nach dem Training und machen Elfmeter. Von daher besonders trainieren wir ein mögliches Elfmeterschießen nicht, wir werden halt das Spiel gut analysieren, uns gut auf das Spiel vorbereiten, und hoffen, dass wir das Spiel in der regulären Spielzeit für uns entscheiden.“
SVWW-Coach Nils Döring: „Die Situation war für mich auf der Tribüne sehr ungewohnt. Ich kann mir was Schöneres vorstellen. Deshalb freue ich mich umso mehr, am Dienstag wieder an der Linie zu stehen, der Mannschaft zu helfen, gute Momente mit auf den Weg zu geben. Lob an mein Trainerteam, das heute einen guten Job gemacht hat. Mit der ersten Halbzeit können wir nicht einverstanden sein. Wir haben einiges vermissen lassen. Wir waren nicht zielstrebig genug, wir haben wenig Zweikämpfe geführt, wir haben sehr viele Fouls um unseren eigenen 16er provoziert, waren mit Ball unsauber, haben wenig angedribbelt, haben wenig die nächste Zone bespielt.
Wir haben dann reagiert, drei Wechsel gebracht, die haben uns Mut und Qualität in der Spieleröffnung gebracht. Wir haben die Räume besser gefunden, mutiger agiert, den Gegner unter Druck gesetzt und dementsprechend die erste Halbzeit ein Stück weit wettgemacht. Wir sind dann mit dem 1:1 und 2:1, wo wir die Torchancen auch erzwungen haben, in Führung gegangen, hatten dann noch die Möglichkeit, mit Lee, mit Robin Heußer das dritte Tor zu machen. Am Ende haben wir dann die eine Situation nicht gut verteidigt. Aber im Großen und Ganzen, aufgrund der ersten Halbzeit, können wir zufrieden sein – vor allem mit der zweiten Halbzeit. So stelle ich mir das vor von meiner Mannschaft, so wollen wir am Dienstag von der ersten Minute an auftreten. Es wird ein Spiel auf Messers Schneide, es wird ein Spiel, wo’s wieder um Kleinigkeiten gehen wird.
Elfmeterschießen machen wir ab und zu mal zwischendurch. Da werden wir uns die nächsten Tage mal Gedanken machen, ob wir das so weit dann auch tun.“
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