Bockboanig [ˈbɔkbaɪ̯nɪç]: Willkommen in Schilda
Nordoberpfalz. Eigentlich war es mal eine schöne Sammlung an Schelmen-Storys, heute muss man leider feststellen: Wir sind alle zu echten Schildbürgern geworden. Eine Glosse, nur echt mit Vogel.

Irgendwie hat man das Gefühl, dass die Menschheit nicht wirklich gescheiter wird. Die Lage der Bundesrepublik und unserer Gesellschaft gestaltet sich diplomatisch ausgedrückt etwas diffizil. Werte und Normen verschwinden, Brandmauern werden eingerissen und ein durchgeknallter Metzgermeister flimmert nach jahrelanger Versenkung wieder über den Bildschirm (kommt der „Pulleralarm“ zurück? Die Älteren werden sich erinnern).
Und immer, wenn sich eine Problemstellung auftut, mangelt es auch nicht an hohlen Phrasen aus noch hohleren Köpfen. Aber auch das ist den Bewohnern dieses einst als Wiege der Dichter, Denker und Ingenieurskunst rund um den Globus hochgeachteten Landstrichs im Herzen Europas inzwischen ziemlich wurscht. Oder kurz zusammengefasst:
Willkommen in Schilda!
Die Schildbürger
Die Schildbürger, wohnhaft im fiktiven Ort Schilda, sind Hauptakteure einer ganzen Reihe von kurzen Erzählungen, den Schildbürgerstreichen. Die Schwanksammlungen sind neben denen zu Till Eulenspiegel die bekannteste deutsche Sammlung von Schelmen-Geschichten in Romanform.(…)
Die Bürger Schildas waren gemeinhin als äußerst klug bekannt, weswegen sie begehrte Ratgeber der Könige und Kaiser dieser Welt waren. Da der Ort auf diese Weise langsam aber sicher entvölkert wurde, verlegte man sich auf eine List: Die Schildbürger begannen, allmählich ihre Klugheit durch Narrheit zu ersetzen. Dies war so erfolgreich, dass sie mit der Zeit in ihrer Narrheit verblieben und dafür genauso bekannt wurden wie ehedem für ihre Klugheit (…) (Quelle: Wikipedia)
Deutschland = Schilda? Einige Beispiele gefällig?
Nun aber mal Butter bei die Fische – ist es denn wirklich so schlimm? Selbstverständlich, denn die Schildbürgerei hat es längst bis in die höchsten Regierungskreise geschafft, wobei auch die Frage erlaubt sei „Hat politische Vernunft noch Zukunft in der Bundesrepublik Schilda?“
Aktuell wird beispielsweise über das sogenannte „Dritte Kita-Qualitäts-Gesetz“ gequakt. Mal schauen, ob hier entsprechende Geldmittel auch in diesem doch eigentlich so wichtigen Bereich unserer Gesellschaft fließen. Es ist doch echt schade, dass Kinder keine Autos sind, denn dann würde es ganz einfach heißen: Problemstellung, Lösung und Kohle her, sonst Arbeitsplätze! Da kommt nicht mal die schilda’sche Grammatik mit.
Apropos lesen, schreiben und schön sprechen, das können wir uns selbstverständlich komplett vergessen, es ist nicht relevant, hat keine Lobby und ist damit auch kein Thema in Schilda. Fertig. Wer braucht hier schon umfassende Bildung, wenn es doch alles fein portioniert und über das Rückenmark greifbar als TikTok-Video gibt. Alles andere ist eben dann kein Thema. So geht Realpolitik in Schilda.
Was machen die da oben mit meinem Geld?

Eine weitere aktuelle Narretei – der Bund der Steuerzahler hat wieder sein „Schwarzbuch“ herausgegeben. Darin werden diverse skurrile Steuerverschwendungen in den Kommunen Schildas aufgezählt. Selbstverständlich sind diese Fälle in der Regel absolut absurd und zugegebenermaßen auch amüsant, nur vergessen die Herrschaften und vor allem ihre Leserschaft dabei, dass ein Teil der Steuern eben auch für sinnvolle Dinge ausgegeben wird. Aber man wäre kein echter Schildbürger, würde man sich von solchen rationalen Randdetails belästigen lassen.
Ein Prosit der Gemütlichkeit
Ich alte Zwiderwurz’n – dabei wird doch in Schilda so schön gefeiert. Gerade sind die letzten Reste Erbrochenes von der Theresienwiese gespült, die Wiesn war auch heuer wieder das volkigste Volksfest auf der ganzen Welt. Hier bezahlt der Schildaner, der einen alteingesessenen Dorfbäcker schneidet, weil der die Brezen um ein Zehnerl teurer machen muss („die aus der Norma san doch auch super“), gerne auch 15 Euro für einen dreiviertel Liter mittelmäßiges Bier. Aber das Schönste an der Wiesn ist doch, dass einem kein einziges Kifferbürscherl die gute Laune verdirbt, denn Marihuana ist aufgrund des Famlienfestcharakters selbstverständlich verboten.
Hier die wichtigsten Parameter: 6,7 Millionen Besucher, laut Münchner Polizei gab es zwar mehr Einsätze (1764) als in den vergangenen Jahren, aber dafür weniger Straftaten. Die Ambulanz musste über 5000 Menschen medizinisch versorgten und der höchste gemessene Alkoholwert lag bei 3,78 Promille. Oder kurz und prägnant „Ein Prosit der Gemütlichkeit“.
Weil hier in Bayern scheinbar tatsächlich Schilda forte ist, sollten wir Nordoberpfälzer diese ganze Hirschhornseppelei aus Prinzip meiden.
Hauptsache, das Maul wackelt
Einen hab ich noch. Wie echauffieren sich die Fans von Borussia Dortmund gerade über „ihren“ Jürgen Klopp, weil der jetzt zur RB-Blechdosenarmee gewechselt ist. Das hat doch nichts mehr mit den Werten des Vereins zu tun, da muss man schon ganz fest schimpfen. Vor allem, weil man ja aus dem Herzen Schildas kommt.
Um einiges ruhiger ging es da zu, als der neue „Champion Partner“ im Mai verkündet wurde. Es ist so eine Art mittelständische Kuckucksuhrenfabrik – grundsolide, hochanständig, gesellschaftlich überall geschätzt und höchsten moralischen Ansprüchen verpflichtet. Nur dass man eben statt der stilisierten Flattermänner gar güldene Friedenstauben produziert. Na dann, her mit der Kohle, Rheinmetall!
Der Unbill des Alltags
Aber mal runter von der Metaebene, ab in den kleinen Mikrokosmos des typischen Schildbürgers. Auch in dieser kleinen Welt gibt es Wunder und Mysterien, denen man sich jeden Tag aufs Neue stellen muss. Sei es das höhere Gehalt des Nachbarn oder auch die Supermarktbetreiber, die sich weigern, die zweite Kasse zu öffnen. Was dann selbstverständlich berechtigt, die schlechte Laune an der Kassiererin auszulassen, denn schließlich hat man ja auch einen Euro in den Einkaufswagen gesteckt.
Weiterhin muss man in Treppensituation (beispielsweise am Bahnhof) darauf achten, Frauen mit Kinderwagen oder ältere Menschen, die etwas Schweres tragen, nicht zu beachten. Hier hilft Gott sei Dank die Technik, denn dank Handy und permanentem hinein glotzen entgeht der Schildbürger nicht nur dieser Gefahr, sondern verhindert auch, dass er irgendwo freundlich angesprochen wird.
Trotzdem hat er selbstverständlich am Abend, wenn er am Ende seiner Kräfte darnieder sinkt, immer noch die Energie, sich gesellschaftlich zu engagieren. Selbstverständlich in Form eines anonymen Posts in den Sozialen Medien, das muss dann aber an Gemeinsinn auch reichen…
Achtung, optimistisches Zwischenspiel!
Aber was passiert da… wenn man gerade so am granteln ist, trifft man sie doch wieder – nette, engagierte, herzensgute Menschen, die im Getriebe Schildas kaum sichtbare, aber doch die entscheidenden Rädchen sind. Sie haben nur keine Zeit „herumzuschilden“ (was für eine billige Wortkonstruktion!), weil sie sich im Verein, in der Kirchengemeinde oder einfach nur so für die Gesellschaft engagieren. Und dann das ganze auch noch sinnvoll, spätestens hier bekommt der Durchschnittsschildbürger Schnappatmung.
Wir leben im Plem-Plem-Land, noch Fragen?
Wie wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, lässt sich abschließend definitiv feststellen, dass wir Schildbürger alle einen Riesenvogel haben. Was einst als kecker Schelmenroman entstand, ist heute längst bittere Realität. Und auch der Autor muss sich als vollwertiger Bürger Schildas zählen. Immer nur rumzumosern, dass alle rummosern und zu lamentieren, dass alle immer nur lamentieren – auch das ist halt 100 Prozent Schilda.
Mea culpa, aber ich gelobe Besserung.
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