Bockboanig [ˈbɔkbaɪ̯nɪç]: Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen …
Nordoberpfalz. Fußball als gesellschaftliche und politische Metapher – das hat schon immer gut funktioniert. Gerade die Klassiker von Bern eignen sich hier hervorragend. Eine Glosse.

Leider haben uns die Olympischen Spiele wieder einmal eines gezeigt – bunt, optimistisch und mit Ehrgeiz & Frohsinn, damit haben wir hierzulande leider so gar nichts am Hut. Es ist bitter, aber Realität – wir sind schlicht und einfach ein Volk der Sportreporter geworden und damit meine ich nicht die Kommentatoren für Leibesertüchtigung, sondern leider im übertragenem Sinne: nur am Herumlamentieren, immer alles absolut überkorrekt und bitte bloß keine Kante oder Profil zeigen.
Bei der TV-Gesprächstherapie kann man immerhin noch den Ton abdrehen oder sich mit der Zeitung in den Sanitärbereich zurückziehen – wird schon nix passieren in den paar Minuten (aber genau da fällt immer das entscheidende Tor). Und wenn man dann mit heruntergelassenen Hosen schnell ins Wohnzimmer eilt, hört man nur noch die Analyse der Experten zum Tor. So ist es auch in unserer Gesellschaft.
Eine Nation von Sportreportern
So kann man keinen Staat und noch weniger eine funktionierende Gesellschaft machen oder wie es Martin Luther so trefflich formuliert: „Aus einem verzagten Hintern kommt kein kraftvoller Furz!“ Deshalb machen wir das, was wir aktuell am allerbesten können – nicht Maschinen- und Fahrzeugbau, dichten und denken o. Ä., sondern wir mosern uns in gewohnter Manier von einer angeblichen Krise und die nächste. Um die uns übrigens nach wie vor 75 Prozent der Weltbevölkerung beneidet.
Doch zurück zur Überschrift, hier ein Klassiker, der sich in unsere deutsche Seele eingebrannt hat:
Und das wäre ja auch so schön, wenn wir halt nicht so wären, wie wir sind. Man stelle sich das nur einmal vor, wie das heute kommentiert würde:
Schlechte Flanke in den Strafraum. Reines Glück für Rahn, der antizipiert, aber eigentlich gar nicht mehr auf dem Feld stehen dürfte, weil vor 10 Minuten zweimal ein Kontakt mit dem Gegenspieler stattgefunden hat. Schade, dass er noch drinnen war und dann diesen im Grunde genommen irregulären Treffer erzielte, denn unter solchen Umständen möchten wir kein Spiel gewinnen. Ganz okay, dass wir jetzt Weltmeister sind, aber verdient war es nicht. Zurück zur Werbung…
Und jetzt wieder der große Sprung auf die Metaebene, denn leider greift auch hier wieder das Sportbild als Gesamtlage unserer Gesellschaft.
… Rahn schießt – Tor! Tor! Tor! Tor!
Aus dem Hintergrund kam also Rahn und er hätte schießen müssen und er hat geschossen. Hat das Ding einfach genommen, es sich zugetraut und durchgezogen. Warum? Weil er es konnte. So sollte es bei uns auch gehen. Und zwar nicht auf dem Platz, sondern in unserer Gesellschaft.
Wer kann, der sollte Verantwortung übernehmen. Uns fehlt es an allen Ecken und Enden an kernigen Kanten, Machern, Frauen, die den altbackenen Männern das Fürchten lehren und prinzipientreuen Bürgerinnen und Bürgern mit dem Herz am rechten Fleck.
Aber im Gegensatz zum aktuellen Fußball gibt es diese Männer und Frauen. Nur müssen die, statt sich im Rampenlicht zu präsentieren, bedauerlicherweise zu den Feuerwehreinsätzen ausrücken, ein Jugendtraining vorbereiten oder sich schlicht und einfach um andere Menschen kümmern. Sie engagieren sich in den Turnhallen und auf den Sportplätzen, bei den Tafeln und in den Kirchengemeinden, überall, wo sie sich einbringen können. Und dürfen sich dann noch blöd anreden lassen. Soweit sind wir schon.
Sind wir nicht alle ein bisschen Didi?
Wenn es im Sport einen „Experten“ gibt, der als Blaupause für das allgemeine deutsche Selbstverständnis und der perfekt zu meinem etwas kruden Gedankengang passt, dann ist das ein gewisser Herr Hamann. Immer sauber aus der Deckung feuern und „wenn ich dürfte, würde ich es ja viel besser machen, aber mich lässt ja keiner.“ Stimmt, aber das wird schon seinen Grund haben.
Elf Freunde
Was ist eigentlich aus dem Herberger’schen „Elf Freunde sollt ihr sein“ auf und vor allem auch neben dem Platz geworden? Das versteht unsere Gesellschaft nicht mehr, die sowas wie „Würde“ nur noch als Konjunktiv kennt. Tausende Freunde in den Sozialen Medien, kein Problem, aber elf davon in echt? Vergiss es.
Kameradschaft, Sportsgeist, Fairness und das Shakehands nach einer Niederlage – das alles könnte doch der Kitt sein, der nicht nur einen Verein, sondern eine ganze Nation zusammenhält. Der potenzielle Clou daran: Es geht was voran, man hat zusätzlich noch Spaß & Freude und auch der Humor kommt nicht zu kurz. Klingt gut, geht aber nicht. Weil!
Aus, aus, aus – das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister!
Auch Rahn hatte keine besseren Schuhe an, musste auf dem gleichen Berner Rasen spielen und stand einem bärenstarken Gegner gegenüber. Hat er verdrossen abgedreht, deppert mit dem Schiedsrichter diskutiert und abgewartet, bis eventuell ein Kontakt stattgefunden hat und sich dann sterbend auf dem Boden gewälzt? Nein, er konnte schießen und hat geschossen…
Es ginge. Es ginge alles. Aber nicht mit uns. Die einzige Hoffnung ist, dass ich noch nie mit meinen Tipps richtig gelegen habe – also beim Fußball und hoffentlich auch nicht mit meinen gesellschaftlichen Prognosen. Aber ich befürchte, dass ich hier erstmals recht habe.
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