Aktualisiert: Europa rückt nach rechts, Bayern bleibt stabil

Weiden/Regensburg/Straßburg. Ist Bayern der letzte stabile Anker der parlamentarischen Demokratie in Europa? Während Frankreich, Italien und Österreich, aber auch die beigetretenen Bundesländer mehrheitlich rechtsextrem wählen, bleibt zumindest die bayerische CSU mit 39,7 Prozent der Fels in der Brandung.

Die CSU um Ministerpräsident Markus Söder (Mitte) dem Oberpfälzer Europa-Abgeordneten Christian Doleschal (links daneben) und EVP-Chef Manfred Weber sind mit dem Europa-Wahlergebnis zufrieden. Bild: OberpfalzECHO

Christian Doleschal fühlt sich durch das Ergebnis der CSU bestätigt: „Wir haben einen klaren Auftrag als die Stimme Bayerns in Europa“, freut sich der Oberpfälzer Europa-Abgeordnete, der in den vergangenen Wochen mit Manfred Weber, Partei- und Fraktionsvorsitzender der EVP in Straßburg, durch die Region getourt ist. „Die CSU hat gemeinsam gekämpft. Wenn wir zusammenstehen, wenn wir unsere ganze Bandbreite zeigen und inhaltlich stark sind, dann sind wir auch erfolgreich.“

„Wir sind die einzige Volkspartei, die es aus Bayern heraus noch gibt“, sagt Weber und lobt die „tolle gemeinsame Leistung – Markus Söder hat gekämpft, ich habe gekämpft“. Dass es nicht für den kleinen Sprung über die 40 Prozent gereicht habe, enttäusche den Niederbayern nicht. „Die Europawahl ist eine schwierige Wahl, die Zahl der Kleinparteien ist extrem hoch, weil es keine Prozenthürde gibt.“

Union bundesweit vorne, Ampel abgestraft

Die CSU kommt bei der Europawahl im Freistaat laut vorläufigem amtlichen Endergebnis auf 39,7 Prozent. Bei der Abstimmung vor fünf Jahren kamen die Christsozialen im Freistaat noch auf 40,7 Prozent. Bundesweit kommt die CSU damit auf 6,4, die CDU auf 23,7 Prozent.

Erwartungsgemäß werden die drei in der Bundesregierung vertretenen Ampel-Parteien auch im Freistaat abgestraft. Die bayerischen Grünen verlieren gegenüber 2019 7,3 Prozent und erreichen nur noch 11,8 Prozent (bundesweit 12,0). Die FDP liegt bei 3,9 Prozent (bundesweit 5,2).

Der Oberpfälzer Europa-Abgeordnete Christian Doleschal bei der Stimmabgabe. Foto: CSU

Thomas Rudner verpasst das kleine Wunder

Die SPD bleibt ein weiteres Mal einstellig und landet bayernweit bei 8,9 Prozent. Mit bundesweit nur 14 Prozent steht damit der Oberpfälzer Europa-Abgeordnete Thomas Rudner, der erst vergangenes Jahr für Ismail Ertug, den ausgeschiedenen Amberger MdEP und Oberpfälzer SPD-Co-Vorsitzenden, nachgerückt war, vor dem Aus. „Das Wahlergebnis wird noch etwas steigen, aber ob es für die 16 Prozent, die ich bräuchte, reicht, halte ich eher für unrealistisch“, fasst Rudner die Situation um 19.30 Uhr nüchtern zusammen.  

„Die Stimmung ist trotzdem gut, wir sind hier nicht auf einer Beerdigung“, sagt er auf der Wahlparty im Regensburger Café Schierstadt. „Wir feiern den Wahlkampf und haben uns nichts vorzuwerfen.“ Einen kleinen Hoffnungsschimmer gebe es noch: „Beim letzten Mal wusste der Wackelkandidat erst gegen halb 3 Uhr in der Nacht, dass er drin ist.“ Glaubt er selber noch an ein kleines Wunder? „Wunder gibt es immer wieder“, ruft ein Genosse aus dem Hintergrund.

Thomas Rudner ist für Ismail Ertug ins Europaparlament nachrückt. Foto: Uli Roth

Leichte Gewinne für AfD, FW, BSW und Volt

Zugewinne verzeichnet die AfD und kommt in Bayern auf 12,6 Prozent (bundesweit 15,8). Die Freien Wähler fahren 6,8 Prozent ein (2,7 bundesweit). Das Bündnis Sahra Wagenknecht erreicht in Bayern 3,8 Prozent der Stimmen (5,5 bundesweit). Die Partei Volt kommt auf 2,4 Prozent (2,6 bundesweit), die ÖDP auf 1,9 Prozent (0,7 bundesweit), die Linke auf 1,4 Prozent (2,6 bundesweit).

Europa-Wahl 2024: Vorläufige neue Sitzverteilung im Europäischen Parlament. Foto: Statistisches Bundesamt
Europa-Wahl 2024: Vorläufige neue Sitzverteilung im Europäischen Parlament. Foto: Statistisches Bundesamt
Europa-Wahl 2024: Vorläufiges amtliches Endergebnis für Bayern und die Oberpfalz. Foto: Statistisches Bundesamt
Europa-Wahl 2024: Vorläufiges amtliches Endergebnis für Bayern und die Oberpfalz. Foto: Statistisches Bundesamt
Europa-Wahl 2024: Analysen für Deutschland. Foto: Statistisches Bundesamt
Europa-Wahl 2024: Analysen für Deutschland. Foto: Statistisches Bundesamt
Europa-Wahl 2024: Vorläufiges amtliches Endergebnis für Deutschland. Foto: Statistisches Bundesamt
Europa-Wahl 2024: Vorläufiges amtliches Endergebnis für Deutschland. Foto: Statistisches Bundesamt
Europa-Wahl 2024: Vorläufige neue Sitzverteilung im Europäischen Parlament. Foto: Statistisches Bundesamt
Europa-Wahl 2024: Vorläufiges amtliches Endergebnis für Bayern und die Oberpfalz. Foto: Statistisches Bundesamt
Europa-Wahl 2024: Analysen für Deutschland. Foto: Statistisches Bundesamt

Ergebnisse und Stimmen aus Berlin und München

Aus der Europawahl geht die Union mit Abstand als stärkste Kraft hervor. Laut Hochrechnung von infratest dimap erreichen CDU und CSU zusammen 30,1 Prozent – 23,7 Prozent für die CDU und 6,4 Prozent für die CSU (2019: 28,9 Prozent). Die Parteien der Ampelkoalition verlieren. Die SPD kommt mit 14 Prozent auf ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl (2019: 15,8 Prozent). Die Grünen stürzen von 20,5 auf 12 Prozent ab. Die FDP verliert leicht und kommt auf 5,2 Prozent (2019 5,4 Prozent).

Die AfD legt auch ohne die unter Spionageverdacht stehenden Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron, welche die Partei im gesamten Wahlkampf versteckte, um mehr als 5 Prozentpunkte auf 15,8 Prozent zu und wird zweitstärkste Kraft. Ebenfalls im Aufwind: das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW), das aus dem Stand auf 5,5 Prozent kommt.

Dementsprechend halbiert sich das Ergebnis der Linkspartei auf 2,6 Prozent (2019: 5,5 Prozent). Die Freien Wähler erreichen 2,7 Prozent, die Europa-Partei Volt 2,6 Prozent vor allem bei jungen Wählern. Die Satirepartei Die PARTEI hat bei 1,9 Prozent leichte Verluste, die Tierschutzpartei kommt auf 1,4 Prozent. ÖDP (0,7), Familienpartei (0,6 Prozent) und Piraten (0,5 Prozent) bleiben unter einem Prozent der Stimmen.

Ministerpräsident Markus Söder (CSU): „Wir sind der stabile Anker, in Bayern sowieso überragend. Sorge bereitet mir das starke Abschneiden der AfD. Vielleicht hat auch das Attentat von Mannheim vielen Menschen vor Augen geführt, dass beim Thema Migration viel zu wenig passiert ist. Das ist ein klarer Auftrag für eine echte Wende in der Asylpolitik. Menschen wie der Täter von Mannheim müssen sofort abgeschoben werden und wenn es sein muss, auch nach Afghanistan.“

Kevin Kühnert, SPD-Generalsekretär: „Für uns ist das ein ganz bitteres Wahlergebnis. Glückwunsch an die Union, die Wahlsiegerin ist. Wir haben auf Themen gesetzt, die laut Analysen die Menschen umtreiben, wie Frieden und soziale Gerechtigkeit. Wir werden jetzt trotzdem nicht in Sack und Asche gehen. Wir nehmen das Ergebnis an, werden es ehrlich aufarbeiten, suchen keine Sündenböcke, wir kämpfen uns da gemeinsam raus.

Unsererseits gibt es keine Kanzler-Diskussion. Wir haben uns entschieden, offensiv mit Olaf Scholz in den Wahlkampf zu gehen, weil er die maßgebliche Persönlichkeit in der europäischen Politik ist. Wir haben insofern eine aufrichtige Kampagne geführt. Wir stehen jetzt vor der doppelten Herausforderung, einerseits dafür zu sorgen, dass wieder Ordnung in der Koalition eintritt, damit wir gute Ergebnisse herbeiführen können, und gleichzeitig fordern Anhänger von uns zu Recht ein, dass wir unser Profil zeigen. Beides einzuhalten ist schwer möglich. Die nächste Herausforderung ist der Haushalt.“

Katarina Barley, SPD-Spitzenkandidatin für die Europa-Wahl: „Es ist ein ganz bitterer Abend für uns Sozialdemokraten. Wir haben die Stimmung im Wahlkampf nicht so empfunden, hatten volle Häuser, viele Neueintritte – es war insgesamt eine gute Stimmung. Ich muss vor allem auch den Kandidaten danken, die sich voll reingehängt haben, auch wenn sie wenig Aussichten hatten, in das Europa-Parlament einzuziehen.“

Saskia Esken, SPD-Co-Vorsitzende: „Der Bundeskanzler hat das Vertrauen, er steht an der Spitze dieser Regierung. Wir werden dieses Ergebnis nicht ohne Fragezeichen analysieren. Die Frage ist jetzt, wie wir die Zusammenarbeit in der Ampel neugestalten, um eine Dynamisierung der Wirtschaft und eine erfolgreiche Politik hinzubekommen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat unsere Unterstützung, wenn sie sich in den nächsten Stunden deutlich äußert, ob sie auch auf die Stimmen von Rechtspopulisten und Rechtsextremisten setzt – das können wir nicht tolerieren.“

Carsten Linnemann, CDU-Generalsekretär: „Wir kommen von 24 Prozent bei der Bundestagswahl, lagen am Boden, wir starten weiter durch. Das Ergebnis ist klasse, schauen Sie sich mal die Kanzlerpartei an, die liegen bei 14 Prozent – wir haben mehr als doppelt so viel. Da stellt sich doch die Frage: Hat der Kanzler überhaupt noch die Legitimation? Er müsste die Vertrauensfrage stellen oder zumindest einen Neuanfang machen. Wir haben uns mit den Fragen beschäftigt, welche die Bürger bewegen: Ist mein Geld sicher, ist mein Job sicher? Das machen wir mit neuer Programmatik. Die AfD redet nur, setzt nichts um. Wir machen, das ist der beste Weg, das Vertrauen wieder zu gewinnen.“

Riccarda Lang, Grünen-Co-Vorsitzende: „Gratulation an die Union, die diese Wahl gewonnen hat. Wir können mit unserem Ergebnis nicht zufrieden sein, das werden wir gemeinsam aufarbeiten. Wir erleben eine andere gesellschaftliche Stimmung, die Menschen sind verunsichert. Wir als Grüne setzten uns dafür ein, dass es Frieden gibt in der Ukraine und in Europa. Sollte Vladimir Putin diesen Krieg gewinnen, wird es keinen Frieden geben.“

Sarah Wagenknecht, Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW): „Ich bin so erleichtert und freue mich riesig, dass meine Partei aus dem Stand bei einer bundesweiten Wahl über fünf Prozent kommt. Wir  sind eine Partei ohne Apparat, mit vielen engagierten Menschen. Wir sollten Russland das Angebot machen, dass es bei einem Waffenstillstand einen sofortigen Stopp der Waffenlieferung gibt. Die Verhandlungen wurden in Istanbul bei einem Ergebnis abgebrochen, das heute aus Sicht vieler Beobachter durchaus verhandelbar wäre. Dort sollte man weitermachen. Ansonsten ist die Gefahr groß, dass wir in einen Krieg in Europa hineingezogen werden.

Es ist keine rechte Position, wenn wir sagen, dass wir die unkontrollierte Migration nicht verkraften, weil es an Wohnungen, an Kita-Plätzen fehlt. Die Ärmeren leiden darunter, nicht die in den Villen-Vierteln. Auch viele, die selber aus Einwandererfamilien stammen, sagen uns, dass die Stimmung auch gegen gut integrierte Menschen mit Migrationshintergrund kippt, wenn immer mehr Menschen, die gerade das Wort Asyl sagen können, in unser Land einwandern. Das Ergebnis zeigt, wir haben ein großes Potenzial, das können wir weiter ausbauen.“

Alice Weidel, AfD Co-Vorsitzende: „Erst einmal müssen wir festhalten, dass wir nach dem holprigen Start, extrem gut in den Endspurt gekommen sind. Das löst sich jetzt alles in Luft auf. Die Leute sind deutlich Euro-kritischer geworden, es stinkt den Mescnehn, dass immer mehr Bürokratie aus Brüssel kommt, die den Menschen vorschreibt, was sie machen dürfen, wie das Verbrenner-Aus.

Wir haben 50 Prozent Zugewinn, sind stärkste Partei im Osten. Ich habe mein Augenmerk jetzt auf der Parlamentariergruppe in Straßburg. Wir haben alle Wahlkampf gemacht, wie wir jetzt weitermachen, das schauen wir uns morgen an.“

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