Warum ist Butter billig und Käse noch immer so teuer? Ein Top-Ökonom klärt auf

Nordoberpfalz. Die Verbraucherinnen und Verbraucher werden nach wie vor kräftig zur Kasse gebeten. Über billige Butter, teuren Käse und ein möglicherweise zu hohes Preisniveau unterhält sich OberpfalzECHO mit Professor Dr. Joachim Ragnitz.

Jürgen Ragnitz gehört zu den Top-Ökonomen im deutschsprachigen Raum. Im Exklusiv-Interview beantwortet er Fragen, die so manchem Verbraucher unter den Nägeln brennt. Foto: Klaus Grigga

Die schwarzen Wolken am Krisenhimmel scheinen sich langsam zu verziehen. Immer mehr Branchen haben mit immer weniger Liefer- und Materialengpässen zu kämpfen. Doch auch wenn sich die Lage langsam wieder zu entspannen scheint, die Verbraucher merken kaum etwas davon. Die hohen Preise reißen nach wie vor große Löcher ins Portemonnaie. Sind die überhaupt gerechtfertigt? Muss man auf absehbare Zeit damit leben? Warum rasselt bitteschön der Butterpreis in den Keller und warum ist ausgerechnet Käse fast noch immer ein Luxusgut?

In einem Exklusiv-Interview mit OberpfalzECHO gibt Professor Dr. Joachim Ragnitz Antworten auf diese und andere Fragen, die vielen unter den Nägeln brennen. Der Wirtschaftswissenschaftler ist stellvertretender Leiter der Dresdner Niederlassung des renommierten Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo). Der 62-Jährige gehört zu den Top-Ökonomen im deutschsprachigen Raum. 2019 taucht sein Name auch beim FAZ-Ökonomenranking auf, einer Bestenliste für Wirtschaftswissenschaftler aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Lieferketten funktionieren wieder, Energiepreise sinken, staatliche Preisbremsen greifen und auch die Inflationskurve zeigt nach unten. Das müsste sich doch positiv auf die Produktionskosten auswirken? Doch auf die Verbraucherpreise scheint das bis jetzt kaum Einfluss zu nehmen. Warum eigentlich nicht?

Professor Dr. Joachim Ragnitz: Der Anstieg der Verbraucherpreise wird immer gegenüber dem Vorjahr gemessen. Der aktuelle Wert beinhaltet also alle Preisanhebungen, die im Verlauf der letzten zwölf Monate stattgefunden haben und überzeichnet insoweit die Inflationsdynamik im jeweiligen Monat. Da die Unternehmen im vergangenen Jahr nahezu monatlich die Preise angehoben haben, dies aber inzwischen nicht mehr in gleicher Weise tun, wird die Inflationsrate in der Tendenz in den nächsten Monaten weiter fallen. Tatsächlich ist die vom Statistischen Bundesamt ausgewiesene Inflationsrate zuletzt auf 7,4 Prozent gesunken, ungefähr anderthalb Prozentpunkte weniger als noch im Februar.

Supermärkte haben gerade bei ihren Eigenmarken kräftig an der Preisspirale gedreht und sie im Schnitt um bis zu 30 Prozent verteuert. Dabei sind viele Experten überzeugt, dass gerade bei Lebensmitteln so manche Preissprünge weder gerechtfertigt noch nachvollziehbar sind. Geht es hier nur um reine Gewinnmaximierung, getreu dem Motto: „Wir nehmen das Geld, wo wir es kriegen können?

Ragnitz: Durch Kostensteigerungen allein sind die Preisanhebungen im Einzelhandel nicht zu begründen. Da haben also die Unternehmen die Verunsicherung der Verbraucher auch dafür ausgenutzt, ihre Gewinne zu erhöhen. Es kann ja auch niemand so richtig einschätzen, welcher Teil der Preiserhöhungen durch Kostensteigerungen tatsächlich begründet war. Aber der Wettbewerb wird schon dafür sorgen, dass überhöhte Gewinne nicht dauerhaft bestehen bleiben.

Durch Kostensteigerungen allein sind die Preisanhebungen im Einzelhandel nicht zu begründen.Professor Dr. Joachim Ragnitz

Lebensmittler begründen die hohen Preise auch damit, dass sie von der Herstellern gezwungen werden, die Produkte im teuren Deutschland und nicht im zum Teil deutlich günstigeren Ausland einkaufen müssen. Greift dieses Argument?

Ragnitz: Niemand wird von den Herstellern zu irgendwas gezwungen. Und die Marktmacht liegt ja wohl eher auf Seiten des Handels, sowohl auf der Absatz- wie auf der Bezugsseite. Abgesehen davon, gelten Lebensmittel in Deutschland immer noch als vergleichsweise billig, trotz der hohen Inflation.

Die Land- und Forstwirtschaft, das Bau- und das Gastgewerbe, der Handel, aber auch der Verkehr wurden als die Branchen ausgemacht, die auf sogenannte Mitnahmeeffekte setzen. Haben die in der Vergangenheit, etwa wegen Corona, zu wenig verdient, um jetzt einen größeren Schluck aus der Gewinnpulle nehmen zu müssen?

Ragnitz: Die Landwirtschaft orientiert sich am Weltmarkt, so dass die Bauern da sicherlich mögliche Gewinne zwar gerne akzeptiert, aber sicher nicht aktiv dazu beigetragen haben. Und außerdem wurden hier ja schon in den Jahren zuvor nicht unbedingt auskömmliche Preise erzielt, so dass die Gewinne in 2022 eher die Verluste in den Vorjahren kompensieren. Anders sieht es aber beim Baugewerbe und im Handel aus. Beim Bau stiegen die Preise wegen der bislang noch hohen Nachfrage so stark, im Handel wohl wegen der Marktmacht der großen Handelskonzerne. Eine Kompensation früherer Verluste ist da nicht erkennbar.

Ein Phänomen: die Butter. Sie ist jetzt wieder zu einem Preis zu haben, wie vor dem Ukraine-Krieg. Warum funktioniert das ausgerechnet hier, aber nicht bei Sahne, Käse oder Quark?

Ragnitz: Butter ist ein ziemlich homogenes Gut, und deswegen kann man da die Preise recht gut vergleichen. Joghurt- und Käsesorten gibt es hingegen sehr viele, und deswegen ist die Transparenz der Preisentwicklung hier lange nicht so hoch. Angesichts des Rückgangs der Erzeugerpreise für Milch sollte man aber damit rechnen, dass auch die Preise für weitere Milchprodukte demnächst wieder zurückgehen.

Können die Verbraucher auf sinkende Preise hoffen? Oder setzen die Hersteller vielleicht sogar darauf, dass sich der Konsument an das hohe Preisniveau gewöhnt hat?

Ragnitz: Wir als ifo Institut rechnen damit, dass sich die Inflationsrate in diesem Jahr auf rund sechs Prozent abschwächt, im kommenden Jahr wird man dann wohl wieder bei zwei Prozent landen. Das aber bedeutet, dass das hohe Preisniveau im Ganzen bestehen bleibt, nur die Veränderungsraten werden geringer werden. Sinkende Preise sind insoweit nicht in Sicht, auch wenn bei einzelnen Gütern sicherlich auch frühere Übertreibungen sich wieder reduzieren werden. Da aber mittelfristig auch die Einkommen weiter steigen werden, wird man damit rechnen können, dass die Realeinkommensverluste dann auch wieder ausgeglichen werden können.

Sinkende Preise sind insoweit nicht in Sicht, auch wenn bei einzelnen Gütern sicherlich auch frühere Übertreibungen sich wieder reduzieren werden.Professor Dr. Joachim Ragnitz

Wäre es denkbar, dass die Verbraucher durch ein verändertes Kaufverhalten tatsächlich die Hersteller zwingen könnten, die hohen Preise wieder nach unten zu korrigieren?

Ragnitz: Ja, natürlich. Unternehmen wollen natürlich Gewinne erzielen, aber hohe Gewinne locken entweder zusätzliche Anbieter auf den Markt, so dass die Angebotsmengen ausgeweitet werden, oder Konkurrenten versuchen, durch Preisnachlässe Marktanteile zu gewinnen. Insoweit haben die Verbraucher in ihrer Masse durchaus einen Einfluss auf die Preise: Wenn sie in ihren Augen zu teure Produkte nicht mehr kaufen, werden die Unternehmen überhöhte Preise schon reduzieren. Und darüber hinaus bietet der Online-Handel inzwischen ja auch viel größere Möglichkeiten des Preisvergleichs als es früher der Fall war. Das dauert alles etwas, aber ich bin diesbezüglich optimistisch.

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