Vorsicht vor Online-Bewerbungsportalen: „Und raus bist Du!“
Weiden/Amberg. Um die Bewerbungsflut managen zu können, nutzen Unternehmen Online-Portale. Da laufen selbst Top-Kandidaten Gefahr ausgesiebt zu werden, wenn sie nicht bestimmte Keyword-Floskeln eingeben.

Studium geschafft, Abschluss in der Tasche. Vielleicht auch noch eine Top-Note erzielt. Jetzt muss ein Job her. Statt seine Bewerbungsunterlagen klassisch mit der Post oder per E-Mail zu versenden, kann man sich bei Unternehmen auch direkt online bewerben. Doch Vorsicht! Wer nicht aufpasst, bekommt postwendend eine Absage, ohne dass jemals ein Personaler die Dokumente zu Gesicht bekommen hat.
Doch das Bewerbungsportal lässt sich tatsächlich überlisten, indem man es mit nichtssagenden Floskeln, wie „dynamisch“ oder „leistungsorientiert“ füttert. Professor Dr. Peter Kurzweil von der OTH Amberg-Weiden weiß von den Tücken der Technik. Immer wieder beklagen sich seine Studenten darüber bei ihm. Kurzweil kritisiert: „Fachleute werden systematisch ausgegrenzt, für die richtigen Stichwort-Rater öffnet sich dagegen die Unternehmenstür.“
Welche Unternehmen bedienen sich solcher Portale. Sind das nur die ganz Großen?
Professor Dr. Peter Kurzweil: „Ja, es sind überwiegend die großen Firmen mit starker Internetpräsenz, die auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten oder trotz Einstellungsstopp als bedeutende Arbeitgeber erscheinen möchten.“
Wie muss man sich dieses Bewerbungsprozedere vorstellen?
Kurzweil: „Es gibt kein Rezept oder eine allgemein gültige Vorgehensweise. Jedes Unternehmen schafft durch gut gemachte oder nervtötende Internetseiten ein individuelles Erlebnis. Interessenten suchen zunächst die Website der Firma auf und finden unter dem Stichwort ‚Karriere‘ eine oftmals lange Liste von offenen Stellen, die sich komfortabel nach Standort und Arbeitsbereich sortieren und filtern lässt. Ein Klick auf die vermeintlich interessante Stelle und mit ‚Bewerben‘ endet der angenehme Part.
Nun wird der Lebenslauf erfasst. Gelingt es umständlich, ein pdf-Dokument mit einem selbst erstellten Lebenslauf hochzuladen, präsentiert der Roboter eine ärgerliche Liste falsch ausgefüllter Felder, die händischer Korrektur bedürfen. Besser füllt man die Felder gleich manuell aus. Jedoch bemühen viele Webseiten Drop-Down Listen und andere wenig intuitive Eingabebarrieren. Beispielsweise zieht die Auswahl der Hochschule, die den Abschluss verliehen hat, anhand einer ellenlangen Liste den Bewerbungsprozess in zähe Länge.
Kreative Aspekt geht verloren
Der kreative Aspekt eines Lebenslaufs geht durch die vorgegebenen Abfragefelder komplett verloren. Ist der Lebenslauf endlich eingetippt, wird nach einem Anschreiben gefragt. Doch eine Datei mit einem ordentlichen Briefkopf hochladen, verbietet der Roboter. Der Interessent muss in ein schlampiges Textfeld hinein tippen. Eine ordentliche oder gar korrekte Formatierung erwartet die Maschine nicht. Vielmehr ist die Anzahl der Zeichen begrenzt. Förderliche Schlagworte sind verdichtet darzureichen.
Roboter kennt keine Stempel
Anschließend ploppt die Möglichkeit auf, weitere Unterlagen und Zeugnisse hochzuladen. Die Bewerbung ist nun fertig und total unbefriedigend, denn der Roboter schaut nicht ins Zeugnis und versteht keine Stempel. Auch mit einem im Vorfeld ausgearbeiteten Motivationsschreiben und einem Lebenslauf dauert die Eingabe der Bewerbungsdaten zwischen 30 Minuten und einer Stunde.
Daten verschwinden im Nirgendwo
Will man sich bei der gleichen Firma auf eine zweite Stelle bewerben, fordert der Roboter vom Menschen das wiederholte stumpfe Prozedere. Einige Websites merken sich die Daten nicht, die man kurz zuvor eingegeben hat. Verhängnisvoll ist die Dateneingabe, wenn man versehentlich auf einen Link klickt: Die bisher eingegebenen Daten verschwinden im Nirvana. Spätestens nach der dritten Bewerbung liegen die Nerven blank. Selbst eine Steuererklärung bereitet weniger Verdruss.“
Warum werden die Bewerber gleich „ausgesondert“? Gibt es einen Algorithmus, der auf bestimmte nichtssagende Keywords förmlich wartet?
Kurzweil: „Ja, einen solchen Algorithmus scheint es zu geben. Auf welche Keywords er anschlägt, ist schwer zu sagen. Vermutlich werden Stichwörter der Stellenausschreibung mit der Eingabe verglichen. Ein Tippfehler, ein Synonym oder ein Fachbegriff, der nicht wörtlich im Ausschreibungstext steht, kann zum Verhängnis werden. Mir ist ein Fall bekannt, bei dem die Absage per E-Mail schon wenige Minuten nach Absenden der Bewerbungsunterlagen ankam. Also viel zu schnell, als dass ein Mensch die Bewerbung hätte ansehen können.“
Gibt es ganz bestimmte Floskeln, die man in jedem Fall eingeben muss, damit die Bewerbungen auch gelesen werden?
Kurzweil: „Wie genau der Algorithmus funktioniert, weiß wohl nur der Anbieter dieser Portale. Dienstleistungsunternehmen, die gegen Bezahlung Bewerbungen schreiben und Vorlagen für Lebenslauf und Motivationsschreiben anbieten, werben damit, dass ihre Ergebnisse maschinell auslesbar sind und ‚erfolgversprechende Formulierungen‘ enthalten.“
Haben Sie oder Ihre Studenten schon mit den entsprechenden Firmen gesprochen?
Kurzweil: „Ein Personaler einer großen, deutschen Aktiengesellschaft beschwerte sich wiederholt, dass keine fähigen Bewerber zu finden seien und die Hochschulabschlüsse heutzutage wenig bedeuten. Als ich die mir bekannten Probleme einiger Bewerbungsportale ansprach, meinte er, dass diese Form der Automatisierung notwendig sei, um die Menge an Bewerbungen verarbeiten zu können. Ansonsten verteidigte er die gängigen Methoden zur Prüfung einer Bewerbung, zum Beispiel die Aussonderung aufgrund formaler Mängel oder Lücken im Lebenslauf.“
Versuchen die Studenten, nach dem ersten gescheiterten Versuch sich erneut, dieses Mal aber „floskelreich“, auf diese Stelle zu bewerben?
Kurzweil: „Nein. Die Bewerbungen nehmen so viel Zeit in Anspruch, dass die Motivation für weitere Bewerbungen rasch verfliegt. Eine zweite Bewerbung auf eine bestimmte Stelle ist oftmals auch technisch nicht möglich.“
Kennen Sie Beispiele, bei denen Studenten an dem Roboter-Bewerbungsportal gescheitert sind, aber an anderer Stelle einen Top-Job gefunden haben?
Kurzweil: „Ein typisches Beispiel: Nach knapp zehn automatischen Absagen per E-Mail von unterschiedlichen Roboterportalen hatte gleich die erste herkömmliche Bewerbung mit echtem Lebenslauf und ehrlichen Motivationsschreiben bei einer ordentlichen Firma Erfolg. Der Bewerber hatte übrigens exzellente Fach- und Computerkenntnisse, die in eine Marktlücke stießen.
Die Roboter haben es nicht gesehen, aber der Mensch im Personalbüro erkannte an Aufbau und Optik der Bewerbung, dass da ein Könner am anderen Ende sitzt. Die kaum zehn Minuten, die ein Personalmensch ins Studium einer konventionellen Bewerbung investiert, werden ihm zum Anklicken von Webseiten und Herunterladen verstreuter Internetdaten kaum ausreichen. Aber, leider keine Ironie, der Roboter hat ja meist schon mit einer Absage entschieden.“
Was raten Sie Ihren Studenten, wenn die sich dieser Bewerbungsportale bedienen wollen?
Kurzweil: Was soll man raten? Die digitale Welt ist Bestandteil unserer Wirklichkeit. Den Trend, fragwürdige Anbieter für robotertaugliche Bewerbungen zu bezahlen, halte ich für höchst problematisch.
Was halten Sie persönlich von diesen Portalen?
Kurzweil: „Die Portale sind wirken demotivierend auf die Bewerber, degradieren Menschen zu Maschinen, rauben den Eingabetexten die Glaubwürdigkeit und Authentizität. Roboterportale, sondern Bewerber nicht aufgrund mangelnder Eignung aus, sondern aufgrund undurchsichtiger formaler Kriterien. Es ist kein Wunder, dass Firmen scheinbar ungeeignete Arbeitskräfte vorfinden, wenn ein Großteil der Bewerbungen willkürlich aussortiert wird. Die Portale sprechen eher auf wortgewandte Bewerber, weniger auf fachlich Versierte an.
Keine „barocke“ Sprachfähigkeit
Im Ingenieurbereich und in der Informatik, das sei angemerkt, verfügen die meisten Bewerber nicht über eine barocke Sprachfähigkeit und bemühen einen Jargon, der sich direkt an die Fachabteilung im Unternehmen richtet. Von einer seriösen Firma mit einem funktionsfähigen Personalbüro erwarte ich, dass eine ordentlich erstellte PDF-Bewerbung entgegengenommen wird. Wer stattdessen Einzeldateien übersendet und notwendige Unterlagen weglässt, beweist als Bewerber schon im Vorfeld einen chaotischen Arbeitsstil. Genau dazu aber drängt das Roboterportal mit seinen Eingabefeldern und künstlichen Hürden.“
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