Unsere Bürgermeister beim Redaktionsbesuch: Ernst Schicketanz (SPD), der Postbote im Rathaus

Altenstadt/WN. Sie sind Seismografen für die Stimmung in ihren Gemeinden, oft pragmatische Macher der Politik vor Ort, 24/7 im Einsatz für ihre Bürger. Im Krisenfall auch Prellböcke für den Volkszorn. In unserer neuen Serie stellen wir die Bürgermeister zwischen Altenstadt/WN und Waldthurn vor – ihre Ideen, Erfolge und Fehlschläge.

Altenstadts Bürgermeister Ernst Schicketanz beim Redaktionsbesuch. Foto: Jürgen Herda

Wie kommt ein Postbote ins Rathaus? Klar, mit einer Briefzustellung wäre eine Möglichkeit. Bei Ernst Schicketanz, Bürgermeister von Altenstadt/WN, ist der Fall etwas anders gelagert. „Ich war schon immer ein Vereinsmeier“, sagt der 49 Jahre alte Vater einer Tochter grinsend. Das Parteibuch ist ihm nicht in die Wiege gelegt. „Ich war Vorstand beim Burschenverein und bei vielen Vereinen in der Vorstandschaft – deshalb wurde ich als Jugendlicher von den Parteien umworben.“ 

Dass er als junger Mann den Sozialdemokraten beitritt, hat keine ideologischen Gründe. „Die SPD war am hartnäckigsten“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Seit 1996 ist er Mitglied bei den Roten, kommt 2000 als Nachrücker in den Gemeinderat. Dann heißt es auf einmal: „Ernstl, du musst als Bürgermeister kandidieren.“ 

Wenn man das Gesicht nicht mehr sehen kann”

Mit zarten 33 Jahren wird der flotte Briefträger 2008 in den Altenstädter Chefsessel gewählt. Wenn er bis zur Rente durchhält, könnte er einen Amtsrekord aufstellen. „Die meisten, die abgewählt werden, überleben die erste Amtsperiode nicht“, sagt Schicketanz. „Oder werden nach mehreren Amtsperioden nach Hause geschickt, weil die Leute das Gesicht nicht mehr sehen können.“ 

Über eine Rückkehr in den alten Beruf macht er sich aber derzeit keine Gedanken. „Ein ehemaliger Kollege sagt mir, ,sei froh, dass du’s nicht mehr machen musst’ – früher hatten wir vielleicht eine Minute pro Paket, inzwischen gerade mal eine halbe Minute. Das war einmal ein Ausbildungsberuf, jetzt wird man in zwei Tagen angelernt.“

Weiden blickt mit Argusaugen auf Altenstadt

Schicketanz kommt mit den Kollegen aller Couleur im Gemeinderat gut aus. „Da sollten Parteigrenzen keine Rolle spielen.“ Meinungsverschiedenheiten gibt’s da schon eher mit dem großen Nachbarn, Parteifreunde hin oder her. Die ehrgeizigen Pläne der Altenstädter rufen die Stadt auf den Plan. „Die Weidener sagen, wir sind doch Oberzentrum.“ Nachdem das Baugebiet Altenstadt Mitte innerhalb von drei Jahren durchgezogen wurde, blickt manch einer mit Argusaugen auf den nördlichen Vorort: „Nach einem persönlichen Gespräch mit OB Jens Meyer und der Verwaltung sind wir uns aber wieder näher gekommen“, freut sich Schicketanz.

Der Ehrgeiz der Altenstädter bleibt freilich ungebremst. „Die Ansiedlung eines Edeka, der Neubau des Netto, der Ausbau des Julius-Meister-Wegs, das Gewerbegebiet Sauernlohe, wo wir wieder einen Schritt weiter gekommen sind“ – die Aktivitäten der 4707-Seelen-Gemeinde weckt Begehrlichkeiten. „Wir haben eine Liste mit 127 Interessenten fürs Wohnen und 52 fürs Gewerbe.“ Weidens Alt-Oberbürgermeister Kurt Seggewiß sah das schon immer gelassen: „Er hat gesagt, ,egal, wo die Arbeitsplätze sind, Hauptsache in der Region’.“ Der Versuch, mit der Stadt ein interkommunales Gewerbegebiet zu entwickeln, sei leider gescheitert: „Das hat wegen eines Natur- und Wasserschutzgebiets nicht funktioniert.“

Rund ums Rathaus Altenstadt/WN wird auch in diesem Jahr gefeiert. Foto: Johann Adam

Aufstieg, Fall und Berappelung

Der Bau des Bahnhofs und der Anschluss an das Eisenbahnnetz führte zur Ansiedlung zahlreicher Glashütten und einem wirtschaftlichen Aufschwung in der Region. Die Firmen Beyer & Co. und Hofbauer produzierten weltweit geschätztes Bleikristall. Billigimporte und ein Wandel der Geschmäcker leiteten den Niedergang der Branche seit den 1980er Jahren und den Verlust Hunderter Arbeitsplätze ein.

„Wir sind schnell gewachsen“, beschreibt Schicketanz die Entwicklung in Altenstadt, „1927 kam die Eisenbahn, dann die Ansiedlung von Bleikristall – viele Weidener zogen zu.“ Vor 20 Jahren hatte die Gemeinde schon mal die 5000-Einwohner-Marke gerissen. „Wir haben deshalb viele Geschosswohnungen für einen Ort unserer Größe mit einem großen Wechsel der Mieter.“ 

Diversifizierung statt Bleikristall

Der Strukturwandel habe sich schleppend vollzogen: „Für unsere Bleikristall-Brachen gibt es momentan zu wenig Geld“, klagt der Bürgermeister, „das Förderprogramm wurde zwar auf 30 Millionen Euro für ganz Bayern aufgestockt, aber das bräuchte man schon allein für unsere Region.“ Der Herzenswunsch des Altenstädters: „Wenn da eines Tages ein Bagger anrollen würde, wäre das ein Highlight.“ Aber er könne nicht einfach abnicken, dass sich die Gemeinde 20 Millionen Euro Schulden einkauft und sich dann keinen Computer mehr leisten könne. „Momentan tut sich aber was, die Zusammenarbeit mit dem Landratsamt und den Fachstellen ist sehr gut.“

Altenstadt habe aus der Vergangenheit gelernt – statt wirtschaftlicher Monokultur setzt Schicketanz auf Diversifizierung. „Wir haben zwei, drei größere Betriebe, sind aber vor allem gut gemischt.“ Die Pandemie habe deswegen wirtschaftlich nur wenig Schaden angerichtet. Beim Gewerbegebiet Sauernlohe müsse die Gemeinde in Vorleistung gehen. „Wir hatten gute Jahre, die Schlüsselzuweisung sinkt.“ Bisher sei man schuldenfrei. „Aber das wird sich in den nächsten Jahren ändern.“

Das Landratsamt machte Vorschläge für die ersten Sanierungschritte für Gelände der ehemaligen Glasfabrik Beyer & Co. Foto: Johann Adam

Schwabinger Szenewirt zurück in d’Wirtschaft

Noch ist der Kelch des Wirtshaussterbens an Altenstadt vorübergezogen. „Wir haben d’Wirtschaft im Sportheim, die macht mein Sandkastenkumpel Jürgen Füssl”, erzählt Schicketanz. „Der hatte eine Kneipe in Schwabing, aber das Rauchverbot hat ihm das Genick gebrochen – Glück für uns, dass er zurückkam.” Außerdem gebe es Pizzerien, einmal im Monat die Zoiglstum. Was fehle, sei ein Hotel: „Wir haben zurzeit nur eine Pension, Unternehmen suchen aber immer wieder Übernachtungsmöglichkeiten für ihre Gäste.“

Kulturell sei seine Heimatgemeinde ebenfalls gut aufgestellt: „Highlights waren die Serenaden mit Wolfgang Krebs oder auch die brasilianische Nacht”, kann sich Schicketanz begeistern. „Da kommen inzwischen 500 bis 600 Leute – angefangen haben wir mit 30 bis 40 Besuchern.” Statt eines Bürgerfestes gibt es ein Rathausfest: „Das ist klein, aber fein, und das organisieren die Vereine mit mir zusammen.“

Im Museum werden neue Geschichten geschrieben

Das Altenstädter Museum schreibt nicht nur alte Geschichten: „Im Mittelpunkt steht die Glasindustrie und die Geschichte der Gemeinde“, sagt der Bürgermeister, „aber wir haben auch ein böhmisches Gewölbe, das ist über 200 Jahre alt, und da finden 90 Prozent unserer Hochzeiten statt.“ 

Der Name der Gemeinde weise zwar die Richtung: „Wir wissen, dass Altenstadt alt ist, aber nicht wie alt, weil wir leider urkundlich nicht erwähnt sind.“ Bei historischen Fragen könne man sich aber völlig auf den rührigen Ortsheimatpfleger Jörg Krämer verlassen.

Kurze Geschichte Altenstadts

Dass Altenstadt seinen Namen von einer altsteinzeitlichen Freilandstation hat, ist eher unwahrscheinlich. Auch wenn beim Kalvarienberg und entlang der Windischeschenbacher Straße vorgeschichtliche Scherben sowie eine Vielzahl von Silex­kernsteinen, Silexabschlägen und Werkzeugen endpaläolithischen und mesolithischen Ursprungs gefunden wurden.  

Eine erste Siedlung auf dem heutigen Gemeindegebiet wird um das Jahr 900 vermutet. Im Jahr 1000 hatte der Ort bereits eine christliche Kirche und hieß zunächst Traindorf, ein Ortsname, der auf einen Platz zum Pferdewechsel verweist. Im 13. Jahrhundert wurde die heutige Bezeichnung Altenstadt für den Ort an drei bedeutenden Handels- und Heeresstraßen – der sogenannten Goldenen Straße von Prag nach Nürnberg, der Magdeburger Straße von Regensburg nach Magdeburg und der Eisenstraße von Auerbach bis Altendorf  – gebräuchlich. 

Jahrhundertelang lag Altendorf seit der Herrschaft Kaiser Karls IV. im neuböhmischen Einflussbereich der böhmischen Krone. Anschließend gehörte Altenstadt bis 1806 zur Reichsgrafschaft Störnstein unter dem Fürstenhaus Lobkowitz und wurde 1807 an Bayern verkauft. Nach der Rheinbundakte vom Jahre 1806 lag Altenstadt an der Waldnaab bis 1918 im Königreich Bayern unter den Wittelsbachern. Im Zuge der Verwaltungsreformen in Bayern entstand mit dem Gemeindeedikt von 1818 die heutige Gemeinde.

Der Bau des Bahnhofs und der Anschluss an das Eisenbahnnetz im Jahre 1862 förderte die Ansiedlung von zahlreichen Glashütten in der Region, was auch für Altenstadt einen wirtschaftlichen Aufschwung mit sich brachte. Die Firmen Beyer & Co. und Hofbauer produzierten weltweit geschätztes Bleikristall mit entsprechenden Umsätzen und Einnahmen. Ein Wechsel in der Geschmacksrichtung der Verbraucher brachte den Verlust von Absatzmöglichkeiten für Gegenstände aus Bleikristall und führte in den 1980er und 1990er Jahren zum Verlust von Hunderten von Arbeitsplätzen.

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