Fortsetzung im vier Promille-Prozess
Weiden. Weil beim ersten Verhandlungstag entscheidende Zeugen wegen Krankheit nicht anwesend waren, musste der Prozess um einen fahrlässigen Vollrausch in die zweite Runde gehen.

Ende März rastete ein 29-jähriger Weidener in der Wohnung seiner Freundin total aus. Er warf einen Teller mit Essen gegen die Wand, die Glaspfeffermühle folgte kurz darauf in die gleiche Richtung. Weiter gings dann im Schlafzimmer, wo er eine Schranktüre herausriss und ein Nachtkästchen zertrümmerte. Die Freundin packte den schwer Alkoholisierten kurzerhand in ihr Auto, um ihn in seine Wohnung zu bringen. Auf der Fahrt beschädigte er das Auto erheblich und verletzte möglicherweise seine Fahrerin durch gezielte Schläge.
Polizei gerufen
Später rief die Geschädigte bei der Polizei an, weil sie sich Sorgen um ihren Freund machte. Die beiden Polizeibeamten fehlten beim Prozessauftakt als Zeugen, was Richterin Carina Särve veranlasste, einen weiteren Verhandlungstermin anzusetzen. Die Aussagen sollten Klarheit über den Zustand des Angeklagten und seiner Schuldfähigkeit am Tattag bringen. Nach Angaben der Beamten fuhren sie damals in den Stadtteil Lerchenfeld, um sich den Rauschkandiaten näher anzusehen. Dieser machte den beiden Polizisten einen zwar alkoholisierten Eindruck, war jedoch kooperativ und Herr seiner Sinne. „Er kam mühelos in den dritten Stock, obwohl der Atemalkoholtest über zwei Milligramm Alkohol anzeigte.“
Gutachter hat Probleme mit der Alkomatmessung
Wie schon am ersten Prozesstag äußerte Landgerichtsarzt Dr. Bruno Rieder Zweifel am Wert der durchgeführten Alkomatmessung: „Selbst bei Alkohol gewöhnten Menschen müssten bei einem hochgerechneten Wert von 4,2 Promille den Beamten eindeutige Ausfallerscheinungen aufgefallen sein!“ Auf seine Nachfrage wollte der Polizist keinen Anlass gesehen haben, eine weitere Messung durchzuführen. Er bezeichnete das Alkoholmessgerät als absolut zuverlässig. Art und Umfang der Streitigkeit ordnete er als „relativ gering“ ein.
Dagegen hatte seine Kollegin zuvor die Möglichkeit einer Körperverletzung bei der Freundin zweifelsfrei protokolliert, was folgerichtig Staatsanwalt Oliver Kugler auf den Plan rief. Die Polizistin bestätigte ebenfalls, dass der Angeklagte „relativ klar im Kopf wirkte“. Auch sie zweifelte den per Atemalkoholmessgerät festgestellten Wert nicht an: „Er war freundlich, kooperativ.“ An herumstehende Alkoholika, die das Messergebnis beeinflussen hätten können, hatte sie keine Erinnerung.
Gutachter bescheinigt ‚kurze Lunte‘
Um dem Gericht weitere Informationen zur gerechten Urteilsfindung zu geben, verlas Landgerichtsarzt Dr. Rieder sein Gutachten. Er bescheinigte dem Angeklagten eine beachtliche und langjährige Alkoholkarriere. Diese rühre unter anderem daher, dass dessen „Primärpersönlichkeit wenig belastbar“ sei. Der Volksmund spricht ganz unwissenschaftlich von der ‚kurzen Zündschnur‘. Diese werde immer wieder mit Alkohol angefacht. Obwohl der Angeklagte derzeit eine Therapie absolviert, sah der Gutachter die Zukunft „nicht ganz so toll“. „Trotzdem“, so Dr. Rieder, „ich wäre kein Arzt, wenn ich nicht an Behandlungserfolge glauben würde!“
Schwerwiegende Einträge im Bundeszentralregister
Vor den Plädoyers steht prozesstechnisch immer die Verlesung der Einträge in das Bundeszentralregister an. Und die Vorstrafen hatten es wahrlich in sich. Insgesamt hat der Angeklagte bereits vier Jahre hinter Gittern verbracht. Die Delikte erstreckten sich von Diebstahl, Beleidigung und Bedrohung bis hin zum gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und eine Trunkenheitsfahrt.
Aufhören ließ, dass der Angeklagte vor mehreren Jahren unter Alkoholeinfluss einen Kanaldeckel von einer Autobahnbrücke bei Rothenstadt auf die darunter liegende Fahrbahn warf. Dem Zufall war es damals zu verdanken, dass die geschädigten Personen mit dem Leben und nur leicht verletzt davon kamen.
Plädoyers von Staatsanwalt und Strafverteidigung
Staatsanwalt Oliver Kugler brauchte längere Zeit, um das Strafmaß und seine Begründung darzulegen. Dabei vertraute er im Wesentlichen auf die Zeugenaussagen der beiden Polizisten, die bei dem Angeklagten am Tattag keine schwerwiegenden Ausfallerscheinungen feststellen konnten: „Ich kann keine gravierende Aufhebung des Steuerungsvermögens erkennen!“ Deshalb wollte er bei der Strafzumessung keine Strafrahmenverschiebung im Sinne des Paragrafen 21 StGB anwenden.
Nachdem der Staatsanwalt nach seinen Angaben einen „Bewährungsversager“ vor Gericht sah, hielt er eine weitere Freiheitsstrafe von zehn Monaten ohne Bewährung für angemessen. Strafverteidiger Marc Steinsdörfer bezeichnete seinen Mandanten als suchtkrank. „Deshalb ist es schwer vorstellbar, einen Kranken ins Gefängnis zu stecken. Zumal beweist er ja durch seine stationäre Therapie den Willen zur Besserung. Darüber hinaus gilt immer noch der Wert von 4,2 Promille, dessen Gegenteil nicht bewiesen ist.“ Eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen hielt er für Tat und Schuld angemessen.
„Allerletzte Chance“
Richterin Särve verhängte eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu 15 Euro und nahm zugunsten des Angeklagten eine erhebliche Alkoholisierung an. Das bewahrte den Angeklagten vor einem weiteren Gefängnisaufenthalt. Zum Schluss folgte noch ein sehr menschlicher Appell der Richterin: „Wenn ich mich recht erinnere, dann waren Sie zu Beginn meiner Richtertätigkeit der erste, den ich ins Gefängnis geschickt habe. Jetzt gebe ich ihnen nach diversen Verfehlungen eine allerletzte Chance. Nützen Sie diese. Eine weitere Bewährung oder Geldstrafe wird es sicher nicht mehr geben!“
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