ATU: Arbeitsgericht stellt sich hinter Regional-Betriebsräte

Weiden. Das Arbeitsgericht Weiden stellt sich weiter hinter die rund 300 Regional-Betriebsräte von ATU. Das Unternehmen will sie durch einen deutschlandweiten Einheitsbetriebsrat (mit 36 Mitgliedern) ersetzen. Am Mittwoch gab es eine Entscheidung in Weiden.

ATU Arbeitsgericht
Mittwochnachmittag vor dem Arbeitsgericht Weiden. Der Regional-Betriebsrat Andreas Scheurer (links) und Anwalt Ioannis Papadopolous fahren einen Sieg gegen den Einheitsbetriebsrat bei ATU ein. Aber klar ist auch: Es wird wieder durch alle Instanzen gehen. Foto: Christine Ascherl

„Déjà-vu“ für Richter Ferdinand Hagelstein. Schon 2022 hat er diesen Plänen eine Abfuhr erteilt. Seither haben sich die Parteien durch alle Instanzen gestritten (siehe Infokasten). Und sind so weit wie zuvor: Am Mittwoch geht es im Kern um wieder die gleiche Frage. Ist der bei ATU gewählte Einheitsbetriebsrat rechtens? 40 ATU-Mitarbeiter fechten die Wahl vom Juli 2023 an.

Nein, sagt Richter Hagelstein auch am Mittwoch, 6. Dezember 2023. Er erklärt die Einheitsbetriebsrats-Wahl für unwirksam. Die Begründung: Nach wie vor stelle das Gesetz das Prinzip der Ortsnähe in den Mittelpunkt. Sprich: Ein Betriebsrat muss bei den Mitarbeitern angesiedelt sein. Stichwort: Stallgeruch. „Das ist zentral verankert im Gesetz.“

Zweiter Punkt: Hagelstein hatte sich schon 2022 daran gestört, dass rund 300 Betriebsräte in den Filialen durch 71 Mitglieder eines Einheitsbetriebsrats ersetzt würden. Inzwischen hat sich die Situation verschärft: Der aktuelle Einheitsbetriebsrat zählt 35 Mitglieder. Diese werden assistiert von „Kommunikationsbeauftragten“, die keine Betriebsratsaufgaben übernehmen dürfen. Hagelstein zweifelte stark daran, dass 35 statt 300 Köpfe ein gleich gutes Konzept sein können. „Selbst bei allen Abwägungen von Vorteilen.“

Vorsitzender des Einheitsbetriebsrats: „Funktioniert hervorragend“

Ungeachtet der Gerichtsentscheidungen in erster und zweiter Instanz ist bei ATU schon zweimal ein Einheitsbetriebsrat gewählt worden. Vorsitzender ist Michael Hanses. Er preist am Mittwoch wortreich die Vorteile an. Das Konzept funktioniere „hervorragend“. Er widerspricht dem Bild eines Mega-Betriebsrats, der in Weiden im Büro sitzt und „wartet, dass die Tür aufgeht“.

Die Betriebsräte des Einheitsbetriebsrates seien vielmehr permanent deutschlandweit zur Betreuung der Mitarbeiter unterwegs. „In der Regel ist einmal in der Woche ein Betriebsrat standardmäßig in der Filiale.“ Endlich seien die weißen Flecken beseitigt. Bisher hatten weniger als die Hälfte die Filialen überhaupt einen Betriebsrat.

Ohnehin würden die Entscheidungen heutzutage zentral getroffen. Eine regionale Struktur gäbe es nicht mehr. ATU werde seit 2016 von einem französischen Familienkonzern geführt (Mobivia). „Da ist alles zentralistisch geregelt.“ Beispiel: der schwere Cyberangriff auf ATU im Mai. „Da sind Regelungen nötig, die zentral getroffen werden.“ Gleiches gelte für Arbeitszeit, Urlaub, für „IT-Convergence“. Anwalt Nils Kummert weist auf das Prinzip der „Entscheidungsnähe“ hin.

Die „Speerspitze aus Schwandorf“

Auch die „Speerspitze aus Schwandorf“ ist am Mittwoch wieder da: Andreas Scheurer, regionaler Betriebsrat aus der Filiale in Schwandorf, der 2022 stellvertretend für rund 40 andere Filialen den Rechtsstreit durchgezogen hat. Scheurer wirbt für regionale Betriebsräte: Personalentscheidungen würden vor Ort getroffen. Die Mitarbeiter seien ihren Vorgesetzten ansonsten ohne Beistand ausgesetzt. „Viele könne sich nicht wehren.“

Sein Anwalt Ioannis Papadopolous hält als Kompromiss Regionalbetriebsräte für das bessere Mittel: „regionale Knotenpunkte für Mitbestimmung.“ Das sei besser als „dieses sinnlose Konstrukt“ freigestellter Betriebsräte samt Kommunikationsbeauftragter, die völlig betriebsfremd seien.

Letztlich verlässt Scheurer am Mittwoch mit Anwalt Papadopolous strahlend das Gericht. Aber jeder weiß: Das Ende des Rechtsstreits ist noch lange nicht erreicht. Richter Hagelstein sagt: „Das war’s für die erste Instanz. Sie streiten ja sowieso weiter. Es macht sich hier keiner Illusionen, dass wir hier zum Abschluss kommen könnten.“

Chronologie:

  • Das Unternehmen ATU Auto-Teile-Unger GmbH & Co. KG zählt rund 10.000 Mitarbeiter in rund 550 Filialen. 2001 wird erstmals ein Betriebsrat in der Filiale Duisburg gewählt. 2012 gibt es Betriebsräte in 300 Filialen. Zudem gibt es einen Gesamtbetriebsrat in der Zentrale.
  • 2018 beschließt das Unternehmen mit dem Gesamtbetriebsrat eine Umstrukturierung: Künftig soll es einen unternehmenseinheitlichen Betriebsrat mit 71 freigestellten Mitgliedern geben, der ab März 2022 alle Filialen deutschlandweit vertritt.
  • Dagegen reicht der Betriebsrat der Filiale Schwandorf im Februar 2022 Klage am Arbeitsgericht Weiden ein, auch stellvertretend für weitere Filialen. Das Arbeitsgericht gibt den Schwandorfern recht: Sie dürfen ihren eigenen Filialbetriebsrat wählen, so wie eingeklagt. Richter Ferdinand Hagelstein hält die Gesamtbetriebsvereinbarung für unwirksam.
  • Am 1. März 2022 wird trotzdem eine Betriebsratswahl durchgeführt.
  • Am 5. Mai 2022 entscheidet das Arbeitsgericht Weiden, dass diese Betriebsratswahl unwirksam ist. Begründung: Grundlage der Wahl sei eine unwirksame Gesamtbetriebsvereinbarung. Die Entscheidung wird im Herbst 2022 am Landesarbeitsgericht in Nürnberg bestätigt.
  • Das Unternehmen und der umstrittene „Einheitsbetriebsrat“ gehen in Revision zum Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt entscheidet im Oktober 2023 plötzlich anders: Es weist die Klage aus Schwandorf aufgrund von „formalen Fehlern“ ab. Eine Begründung steht noch aus. Hintergrund soll eine neue Betriebsvereinbarung sein, die der erste Einheitsbetriebsrat noch verabschiedet hat.
  • ATU setzt für Juli 2023 eine zweite Gesamtbetriebsratswahl an, weil das Übergangsmandat des Gesamtbetriebsrats am 23. August 2022 ausläuft. Das Arbeitsgericht Weiden erklärt diese Wahl für unzulässig. In zweiter Instanz lässt das Landesarbeitsgericht Nürnberg die Wahl zu, um eine betriebsratslose Zeit zu vermeiden.
  • Diese Wahl wird am heutigen Mittwoch, 6. Dezember 2023, vom Arbeitsgericht Weiden für unwirksam erklärt.
ATU Auto Teile Unger
Die ATU-Zentrale in Weiden. Foto: Christine Ascherl

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