Wenn aus der Traumreise ein Albtraum wird

Karpathos/Krummennaab. "Wenn einer eine Reise tut, dann hat er was zu erzählen …" lautet ein altes Sprichwort. Noch mehr kann einer erzählen, wenn die Traumreise zum Trauma wird.

Starke Männer: Kapitän Giorgios Manolis (vorne), der hilfsbereite Niederländer Joe und Karins Sohn Jonas Birk (von links). Foto: Udo Fürst

Zwei Wochen Sonne, Strand, Meer und gutes Essen: So hatten wir uns, meine Frau Karin und ich, unseren dritten Aufenthalt auf der kleinen Dodekanes-Insel Karpathos vorgestellt. Erstmals dabei auch Karins Sohn Jonas und dessen Freundin Vicky – welch ein Glück, wie sich später herausstellen sollte. Aus dem Traumurlaub wurde nach nur vier Tagen ein Albtraum.

Da tanzte sie noch: der Tag vor dem Unglück. Foto: Udo Fürst
Da tanzte sie noch: der Tag vor dem Unglück. Foto: Udo Fürst
Hier war die Welt noch in Ordnung. Foto: Jonas Birk
Hier war die Welt noch in Ordnung. Foto: Jonas Birk
Vicky, Karin, Udo und Jonas (von links). Foto: privat
Vicky, Karin, Udo und Jonas (von links). Foto: privat
Welch ein Ausblick vom Hotel Albatros. Foto: Udo Fürst
Welch ein Ausblick vom Hotel Albatros. Foto: Udo Fürst
Sonnenaufgang in Amoopi. Foto: Udo Fürst
Sonnenaufgang in Amoopi. Foto: Udo Fürst
Udo Fürst
Da war die Welt noch in Ordnung. Foto: Jonas Birk
privat
Foto: Udo Fürst
Foto: Udo Fürst

Bootsausflug mit Folgen

Nach der Ankunft auf der mit circa 300 Quadratkilometern nach Rhodos zweitgrößten, aber immer noch winzig kleinen Insel machten wir von Dienstag bis Freitagmittag das, was man in einem Urlaub halt so macht: schwimmen, sonnenbaden, essen, genießen. Am vierten Tag war ein Bootsausflug mit dem auf Karpathos berühmten Kapitän Giorgios Manolis nach Saria, der noch kleineren Schwesterninsel von Karpathos, geplant. Angekündigt als „Abenteuer“ mit Höhlenschwimmen, welliger Fahrt auf einem Fischerboot und kleinen Exkursionen mit anschließendem Barbecue auf Saria, wurde dieser Ausflug zu einem unvergesslichen Erlebnis, zum Trauma.

Beim zwar mühevollen, aber recht harmlosen Abstieg von den in den Hügeln über der Bucht passierte es: Karin rutschte nach einem kleinen Hüpfer von einem vielleicht 30 Zentimeter hohen Absatz aus und sank mit einem stechenden Schmerz im linken Knie zu Boden. Weder an Aufstehen, geschweige denn an Gehen war noch zu denken. Doch wie bekommen wir sie die 500 Meter zum Boot hinunter? Kapitän Manolis hatte eine Idee: Er brachte eine Art Sanitätsstuhl nach oben, wir setzten die Verletzte drauf und machten uns auf den im Wortsinn steinigen Weg. Nach 50 Metern war klar, selbst für vier nicht gerade schwache Männer war das nicht zu schaffen.

Retter Kapitän Giorgios Manolis

Nach kurzer Diskussion machte sich Giorgios erneut auf den Weg und zehn Minuten später tauchte der asketische Grieche wieder auf. Mit einer Leiter, zwei Brettern und einem Schlafsack. All das zur Trage umfunktioniert, machten wir uns auf den abenteuerlichen Rücktransport. Eine Stunde später, durchgeschwitzt und gefühlt fünf Kilo leichter, kam die Rettungscrew mitsamt schmerzgeplagter Patientin unten an. Endlich, erste Herausforderung gemeistert.

Dann ging es zum nächsten Abenteuer, dem Verladen der Verletzten auf das gut einen Meter vom Ufer entfernt ankernde Boot. Unterstützt von anderen Mitfahrern wurde auch diese Hürde überraschend unkompliziert genommen. Drei Männer schoben die provisorische Trage über die Reling ins Boot, wo drei weitere Helfer sie in Empfang nahmen. Inzwischen hatte der Kapitän das einzige Krankenhaus auf der Insel in der Hauptstadt Pigadia alarmiert. Nach der einstündigen und recht nassen und stürmischen Rückfahrt nach Diafani warteten schon ein Arzt und zwei Sanitäter im Hafen auf uns.

Nur nicht aufgeben …Foto: Udo Fürst
Nur nicht aufgeben …Foto: Udo Fürst
Haare waschen im Hotelzimmer. Foto: Udo Fürst
Haare waschen im Hotelzimmer. Foto: Udo Fürst
Endlich: Mit dem Rettungswagen zum Flughafen. Foto: Udo Fürst
Endlich: Mit dem Rettungswagen zum Flughafen. Foto: Udo Fürst
Udo Fürst
Udo Fürst
Udo Fürst

Horror im Krankenhaus

War schon der Transport bis zum Rettungswagen eine Herausforderung, sollte der Krankenhausaufenthalt dies noch locker toppen. Nach der Diagnose „Bruch des Schienbeinköpfchens“ folgten knapp vier Tage Horror in einem mit deutschen Verhältnissen nicht ansatzweise vergleichbaren Krankenhaus. Gelangweilte Ärzte, die sich durch jede Frage belästigt fühlten, überfordertes Pflegepersonal und eine Versorgung, die ihren Namen nicht verdiente: Wir fühlten uns wie in einer längst vergessen geglaubten Welt, mussten um jede Schmerztablette und um jedwede Pflege betteln. Der Satz „my wife urgently needs Painkiller, please“ wird mich wohl noch lange in meinen Träumen verfolgen. Beliebter Spruch aller Beteiligten an diesen Tagen: „Wenn noch einer mal etwas über das deutsche Gesundheitssystem sagt…“

Unterdessen hatte ich den ADAC verständigt, denn das Krankenhaus Pigadia hatte einen Rücktransport „liegend und mit Arztbegleitung“ angeordnet. Etwas anderes wäre auch nicht möglich gewesen. Karin ist seit vielen Jahren „ADAC plus-Mitglied“, Gott sei Dank, garantiert diese Mitgliedschaft doch den kostenlosen Rücktransport in die Heimat mit einem Ambulanz-Flugzeug. Allerdings war drei Tage lang nicht klar, wann der Flieger kommt. Als hätte diese Ungewissheit allein nicht schon gereicht, folgte der nächste Albtraum. Am vierten Tag, dem Montag, eröffneten uns die Ärzte, dass wir innerhalb einer Stunde das Krankenhaus zu verlassen hätten, weil sie den Platz bräuchten.

Costa, die gute Seele

Jetzt kommt die gute Seele, unser mittlerweile guter Freund Costa, ins Spiel. Jonas informierte den Inhaber unseres Hotels Albatros in Amoopi und der bereitete kurzerhand ein auch mit Krankentrage gut erreichbares Zimmer im Erdgeschoss vor, wir hatten ja – Glück im Unglück – noch eine Woche Urlaub gebucht. Vor der Fahrt ins Hotel sagte uns ein mürrischer Krankenhausarzt zähneknirschend zu, auch den Weitertransport von Karin zum Flughafen zu übernehmen. Zuvor hatte der Mediziner mit der unermüdlich für unsere Rückreise kämpfende ADAC-Mitarbeiterin in Athen am Telefon wegen unseres Rauswurfs derart gestritten, dass die Krankenschwestern entsetzt aus dem Zimmer flüchteten.

Mittlerweile war klar, dass der ADAC-Flieger erst am Mittwoch kommt, weil er noch andere Patienten aufnehmen musste. Immerhin war im Hotel eine weitaus bessere Pflege und Versorgung der Verletzten gewährleistet. Ausreichend Painkiller und Thrombosespritzen hatten Jonas und Vicky in der Apotheke gekauft, auch das war also erledigt. „Jetzt habe ich wenigstens Meerblick“, freute sich die „Beste aller Ehefrauen“ leicht sarkastisch, aber angesichts der nahenden Rückreise hoffnungsvoll aus dem Fenster blickend.

Nervenzehrende Ungewissheit

Nachdem auch ich meinen außerplanmäßigen Rückflug (ich durfte nicht mit dem „Gelben Engel“ mitfliegen) dank großer Hilfe meines Chefs Nicolas Götz und vor allem dessen Gattin Caro gebucht hatte (siehe Infokasten), schien alles im Butter. Von wegen. Am Dienstagabend teilte uns die griechische ADAC-Verbindungsfrau mit, dass das Krankenhaus den Flughafentransport doch nicht übernehme, weil man „nur einen Wagen auf der ganzen Insel“ habe. Falsch. Es gibt mindestens zwei solcher Fahrzeuge in der Klinik, was ich selbst gesehen habe. „Hilft nichts, ich habe alles versucht, aber die wollen einfach nicht“, bedauerte Frau Mariopolou am Telefon. Klar war nur, dass das ADAC-Flugzeug am Mittwoch gegen Mittag auf Karpathos landet. Vielleicht kann man sich vorstellen, welche Welt in diesem Moment für uns zusammenbrach. Wie sollen wir die bewegungsunfähige und schmerzgeplagte Karin mit einem Schienbeinbruch die 15 Kilometer zum Flughafen bringen?

Der alarmierte Hotelchef Costa versuchte alles, telefonierte mit allen möglichen Leuten, die ein einigermaßen größeres Auto besitzen, organisierte von einem befreundeten Inselarzt einen Rollstuhl, doch eine Frage blieb: Wie sollen wir Karin liegend transportieren? Auf der Ladefläche eines Pickup? Meine Frau und ich waren der Verzweiflung nah. Das ständige Auf und Ab, die Ungewissheit, es war einfach alles zu viel.

Erlösung durch die „Gelben Engel“

Mittwochvormittag: Vor der Zimmertür hören wir Geräusche, es klopft. Die Reinigungskraft? Nein, besser, viel besser: Draußen stehen zwei Sanitäter mit einer Trage. Ganze Felsen fallen von unseren Schultern, Karin ist den Tränen nah. Eine halbe Stunde später stehen wir mit dem Rettungswagen neben dem Rollfeld, weitere zehn Minuten später schwebt der „Gelbe ADAC-Engel“ ein. Die Rettung ist da. Nach der Landung kümmern sich alle sofort liebevoll um die Verletzte: Kapitän, Arzt, Pflegepersonal. Unsere Erleichterung ist kaum zu beschreiben. Es war, als fielen Weihnachten, Neujahr, Hochzeit und alle Geburtstage zusammen. Wenn der Begriff „Gelbe Engel“ auch nur einmal seine Berechtigung gehabt haben sollte, dann an diesem 5. Juni 2024.

Abtransport. Foto: Udo Fürst
Abtransport. Foto: Udo Fürst
Beste Pflege, beste Behandlung: Das Fichtelgebirgsklinikum Marktredwitz ist nur zu empfehlen. Foto: Karin Fürst
Beste Pflege, beste Behandlung: Das Fichtelgebirgsklinikum Marktredwitz ist nur zu empfehlen. Foto: Karin Fürst
Foto: Udo Fürst
Foto: Karin Fürst

In Marktredwitz in besten Händen

Bereits einige Tage zuvor hatte Caro mit einem befreundeten Arzt, dem Leiter der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Fichtelgebirgsklinikums Marktredwitz, Dr. Philipp Koehl, Karins Aufnahme gemanagt. Nach einem Flug über Kreta und Köln nach Nürnberg wurde die Patientin von den Maltesern nach Marktredwitz gebracht, bestens aufgenommen, fürsorglich gepflegt und fünf Tage später erfolgreich operiert.

Ende gut, fast alles gut. Jetzt heißt es Geduld haben: Karin darf das wegen des komplizierten Trümmerbruchs des Schienbeinköpfchens mit einer Platte fixierte Knie und damit das ganze linke Bein sechs Wochen nicht belasten. Nullkomma null. Und jetzt bitte eine Runde Mitleid für den Autor dieser Zeilen: Seit Montag bin ich die verantwortliche Pflege-Hilfskraft meiner fast bewegungsunfähigen Ehefrau. Aber ich mache das gerne. Ehrlich!

„Last call, Mr. Fürst“

Dank des vorbildlichen Einsatzes meines Reisebüros „Nix wie weg“ war auch mein außerplanmäßiger Rückflug schnell gebucht. Doch fast hätte ich die an und für sich problemlose Heimreise verbockt. Von Karpathos ging es mit einer putzigen „De Havilland“ nach Rhodos und von dort weiter mit TUI-Fly nach München. Mehr als eine Stunde Aufenthalt in Rhodos, schön. Da war Zeit zum Chillen und für ein letztes Mythos. Danach check-in und Warten auf den Transport zum Flugzeug.

Am Boardingschalter einer der ersten, blickte mir die Airline-Dame erstaunt in die Augen und teilte mir mit, dass ich am falschen Schalter bin. Ok, dachte ich, warte ich eben. Muss ja bald der TUI-Schalter öffnen. Zehn Minuten später und ins Handy versunken, höre ich eher zufällig aus dem Hintergrund eine an allen Flughäfen der Welt obligatorisch kaum zu verstehende Durchsage: „Last call, Mr. Udo Fürst“.

Erschrocken springe ich auf und erblicke den bereits gähnend leeren TUI-Schalter 20 Meter weiter in der anderen Richtung und die zwei Mitarbeiterinnen dort, die belustigt meinen „Sprint“ beobachten. „But quickly now“, rufen sie mir zu und verständigen den Transport zum Flieger. Ein Riesen-Bus fährt mich als einzigen Passagier übers Rollfeld zum Flugzeug, das bereits alle Türen geschlossen hat. Erst nach mehrmaligem, energischem Klopfen des Marshallers (Einwinker) öffnet sich gleich „Sesam“ die Kabinentür und nach einem mild-strengen Blick gewährt mir die Stewardess Einlass. Schwitzend, aber glücklich lasse ich mich in den Sitz fallen. Geschafft!

Eigentlich wollte ich ja schon immer mal als letzter Passagier in den Flieger steigen.

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