Späte Sühne für Raubüberfall auf Senioren: Prozess „Rio 3“ steht bevor
Weiden/Grafenwöhr. Sie schauten "Bulle von Tölz", als eine Verbrecherbande in ihr Haus eindrang. Der Überfall auf ein altes Ehepaar in Grafenwöhr 2016 schockierte die Region. Die letzten zwei der vier mutmaßlichen Täter stehen noch heuer vor dem Landgericht Weiden.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Weiden steht. Viel Arbeit war sie nicht. Es ist bereits der dritte Prozess nach dem sogenannten „Rio-Raub“, benannt nach der früheren Kneipe des überfallenen Ernst W. (damals 89, inzwischen verstorben) und seiner Frau Luise (80). Der Inhalt ist fast wortgleich zu 2018.
Damals war der mutmaßliche Anführer Viktor C. zu 10 Jahren Haft verurteilt worden. Zwei Jahre später gab es für Oleksandr M. 7,5 Jahre Gefängnis. Sein Prozess musste nachgeschoben werden, weil er erst in Graz eine Strafe verbüßen musste. Beide Ukrainer sitzen immer noch in Deutschland im Gefängnis. Die Ukraine nimmt sie aufgrund des Krieges nicht zur Restverbüßung zurück, wie ansonsten nach etwa der Hälfte möglich.
Wiedersehen vor Gericht
Vor Gericht sieht man sich wieder. Die Ukrainer werden – wenn nötig – als Zeugen vorgeführt. Auf der Anklagebank sitzen Oleg B. und Vadim C., beide aus Transnistrien, dem abtrünnigen Landesteil Moldawiens. Es wird ein Treffen von Berufsverbrechern. Diese vier Männer haben nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft 2016 das Ehepaar in Grafenwöhr überfallen.
Senioren mit Stromkabeln verschnürt
Der Raubzug glich dem Schlimmsten, was „Aktenzeichen XY“ zu bieten hat. Gegen 23 Uhr waren drei Täter durch die verschlossene Haustür eingedrungen, möglicherweise stand der Vierte vor dem Haus Schmiere. Die mit Sturmhauben maskierten Einbrecher rissen die Senioren aus ihren Fernsehsesseln. Ernst W. wurde ins Gesicht geschlagen und mit Handschellen gefesselt. Luise U. verschnürten die Täter mit Stromkabeln. Über beide wurden Decken geworfen. Dann durchsuchten die Unbekannten das Haus.
Gegen 0.10 Uhr gelang es der Seniorin, sich zu befreien. Ihr Anruf bei der Polizei wurde aufgezeichnet. „Drei Männer, die haben eine Vermummung gehabt. […] Mir hamm’s an Arm ausdreht. Ich trau‘ mich nicht einmal das Licht andrehen. Des schaut aus. Alles ausgeräumt. Alles offen. Die Schübe.“ Im Hintergrund hörte man ihren Mann um Hilfe rufen. Ernst W. erlitt in der Tatnacht einen Schlaganfall. Seiner Frau war die Schulter herausgebrochen worden.
Überfallene Senioren schliefen fortan tagsüber
Danach war für die Senioren nichts mehr wie zuvor. Am gleichen Tag war der frühere Gastwirt noch selbst bei „Lidl“ zum Einkaufen gewesen. Danach war er ein Pflegefall. Er und seine Luise (die Heirat erfolgte nach dem Überfall) hatten derart Angst, dass sie sich nachts nicht mehr zu schlafen trauten. Sie gingen im Morgengrauen zu Bett. Sie hielt dabei das Telefon in der Hand; er einen Hausnotruf.
All das ist aus dem ersten großen Prozess aus dem Jahr 2018 bekannt. Damals stand nur einer der Haupttäter, Viktor C., vor dem Landgericht Weiden. Mit ihm eine Handvoll Beihelfer: darunter die Tippgeber aus dem Landkreis Neustadt/WN, die den Tratsch vom angeblichen Reichtum des Gastwirts versilbert hatten. Verbindungsglied war ein Autoschacherer aus Tachau, der beide Seiten kannte.
Auslöser war Gerüchteküche
Der ganze Rio-Überfall basierte auf einem Gerücht. Über 35 Jahre war Ernst W. der Wirt des „Paulaner“, auch „Rio“ genannt. Zuletzt war es mehr Hobby für die Stamm-Kartler als ein Beruf. Ein halbes Jahr vor dem Überfall hatten er und seine Luise endgültig zugesperrt. Man suchte einen Käufer für die Kneipe. Letzter Interessent war ein Koreaner, 250.000 Euro waren ausgehandelt. Ein Notartermin war anberaumt.
Es ging das Gerücht, dass Ernst W., ein Wirt der alten Schule, den Erlös (der in Gerüchten schnell mal bei einer Million war) in bar zu Hause aufbewahre. Absoluter Nonsens. Einer der Tippgeber aus dem Landkreis Neustadt/WN beging nach dem brutalen Überfall Suizid.
Hausratversicherung zahlte nur 1500 Euro
Trotzdem war relativ viel Bargeld im Haus. Das rührte daher, dass das Paar eine recht kleine Rente hatte. Der immer selbstständige Wirt bezog 400 Euro, seine Lebensgefährtin 700 Euro. Man lebte vom Ersparten.
Ernst W. bewahrte zwischen 35.000 und 70.000 Euro in einer Lebkuchendose auf. Luise hatte 20.000 Euro für einen Küchenkauf abgehoben. Sie war in der Woche zuvor mit ihrer Tochter im Küchenstudio. All dieses Geld war nach dem Überfall weg. Die Hausratversicherung zahlte als gedeckelte Entschädigung 1.500 Euro.
Meisterstück der Spurensicherung
Der Kriminalpolizei Weiden war mit der Aufklärung innerhalb kürzester Zeit ein Bravourstück gelungen. Die Spurensicherung war fleißig. Sie sicherte mit über 110 Klebestempeln Spuren vom Tatort. Die Ergebnisse sind bis heute Basis der Beweise. Die DNA der jetzt Angeklagten haftete an den Strickwesten der Opfer. Von drei Tätern fand sich DNA im Haus (an Kleidung, am Haustelefon), vom vierten – Viktor C. – wurden Handschuhe im nahen Bach Creußen gefunden.
Parallel lief sofort eine Funkmast-Abfrage. 1.000 Einloggungen am Tatort blieben in der fraglichen Zeit übrig. Die Kripo fragte parallel alle Funkmasten an fünf Grenzübergängen und an den Bundesstraßen ab. Die Schnittmenge ergab zwei SIM-Karten, die einem Renault Megane eines Prager Autoverleihs zugeordnet werden konnten (GPS-Diebstahlschutz und Tomtom-Navi).
Unterstützung aus Tschechien
Der Mieter: der Ukrainer Viktor C. Der Sachbearbeiter der Weidener Kripo nahm Kontakt zu den tschechischen Kollegen auf. Und erlebte eine Überraschung: Man könne ganz wunderbar helfen. Viktor C. werde seit einem Jahr vom tschechischen Zoll observiert. Er und seine Bande standen im Verdacht eines großangelegten Zigarettenschmuggels. Die Tschechen steuerten aus einer Prager Tunnelkamera Fotos von Viktor C. bei. Er sitzt am Steuer des Renault Megane – am Tag der Tat, auf dem Weg in die Oberpfalz.
Deutsche Kriminalbeamte und Staatsanwälte waren vor Ort, als im Oktober 2016 eine Prager Spezialeinheit den Ukrainer festnahm. Mit im Auto von Viktor C. saßen damals schon die beiden Moldawier, die jetzt angeklagt werden. Sie ließen sich freiwillig eine Speichelprobe nehmen, dann ließ man sie laufen. Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass sie am Überfall beteiligt waren. Als die LKA-Treffer eintrudelten, waren sie über alle Berge.
Erst im Frühjahr 2024 schnappte die Falle zu: Vadim C. (inzwischen 55) und Oleg B. (47) wurden beim Grenzübertritt von Moldawien nach Rumänien durch die rumänische Polizei festgenommen.
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