So viele Traktoren hat Weiden noch nie gesehen? Doch!
Weiden. "Bauernproteste: So viele Traktoren hat Weiden nie gesehen." So titelte OberpfalzECHO vor einer Woche. Wenn wir uns da mal nicht getäuscht haben.

Dr. Sebastian Schott hat im Stadtarchiv gestöbert. „Unsere Bauern stiegen auf die Barrikaden“ lautete die Schlagzeile vom 12. Februar 1972. Vor exakt 52 Jahren gab es demnach schon einmal eine groß angelegte Protestaktion der Landwirte. Dabei gelang Fotograf Rudi Bonkoß, dessen Archiv der Stadt gehört, die beeindruckende Aufnahme von jeder Menge Traktoren auf dem Oberen Markt – damals noch keine Fußgängerzone. Der Konvoi reichte ums Alte Rathaus herum und zurück bis zum Justizgebäude.
Um was ging es Anfang der 70er? Auch damals war es ein bundesweiter Aufstand, an dem sich die Landwirte aus Weiden und dem Landkreis Neustadt/WN sowie damals noch dem Landkreis Vohenstrauß beteiligten. Sie protestierten gegen Preisvorschläge der Europakommission an den Ministerrat. Die Aufschriften auf den Plakaten lauteten: „Erzeugerpreise minimal, Verbraucherpreise ein Skandal“. Und: „EWG soll den US-Dollar stabilisieren – Nie!“.
OB Hans Bauer auf dem Podium
Die Kundgebung eröffnete damals der BBV-Ortsobmann des Kreisverbandes Neustadt/WN, Alfred Krauß aus Hannersgrün. Redner waren OB Hans Bauer, Landtagsabgeordneter Hans Lukas, Landrat Franz Weig (Vohenstrauß) und ein Stellvertreter des Neustädter Landrats Christian Kreuzer.
Krauß nannte eine Zahl von täglich 225 Bauern, die im Jahr 1971 ihre Höfe aufgaben. Wenn dieser Rückgang so weitergehe, werde es bald mehr Minister als Bauern geben. „Was wir fordern, ist Gerechtigkeit und ein gerechter Lohn für unsere Arbeit.“ Er verlas eine Resolution des Bauernverbandes: „In diesen Stunden führen wir Bauern im ganzen Bundesgebiet eine Warndemonstration durch. Unsere Aktion setzt ein unübersehbares Warnsignal. Wir müssen dabei Kritik in Kauf nehmen. Aber wir haben keine andere Wahl.“
In der Kritik: Preisvorschläge aus Brüssel
Das bäuerliche Einkommen liege auf dem Stand von vor zehn Jahren, wogegen sich die übrigen Einkommen verdoppelt hätten. Die Erzeugerpreise seien europaweit gestiegen. „Angesichts der Existenzkrise der deutschen Landwirtschaft sind die neuesten Preisvorschläge aus Brüssel eine glatte Unverschämtheit.“ Die Forderung der Bauern: eine Preiserhöhung 1972/73 um zwölf Prozent. Krauß schloss: „Wir werden nicht aufhören, dafür zu kämpfen.“
Die Polizei sprach damals von rund 700 Bauern, die mit ihren Traktoren nach Weiden gefahren waren. „Unter Aufbietung aller Kräfte“ sei es gelungen, „einen totalen Zusammenbruch des Verkehrs in der Innenstadt zu verhindern“. Aus allen Richtungen fuhren Landwirte direkt in die Innenstadt. Weil der Platz vor dem Alten Rathaus überfüllt war, leitete die Polizei die Traktoren auf den Naabwiesenparkplatz um.
Kommentator enttäuscht über mangelnde Solidarität
Interessant ist der Kommentar, den Redakteur Albert Panzer damals veröffentlichte. „Das hatten die Weidener noch nie erlebt“, schreibt er. Hunderte von Bauern blockierten mit einer Demonstration den Verkehr in der Innenstadt. „Und das mit Recht“, meint Panzer.
Es gäbe in der Bundesrepublik keinen Berufsstand, der ähnlich ins Hintertreffen geraten sei wie der des Landwirts. „Einst hochangesehen und sogar als Vertreter des Nährstandes deklariert, kämpft der Bauer um seine nackte Existenz.“
Der Kommentator appelliert 1972 zu mehr Solidarität der Stadtbevölkerung im Sinne des Slogans „Stadt und Land – Hand in Hand“. Er zitiert Passanten des Konvois: „Denen ist’s doch noch nie schlecht gegangen“, „Schaut sie nur an mit ihren Mercedes-Wagen“. Panzer findet das „erschreckend“. Eine solche Missachtung eines Berufsstandes, der aller Leben mittrage, sei unwürdig.

* Diese Felder sind erforderlich.