Schicksal ungewiss: Heuer schon 300 Oberpfalz-Rinder exportiert
Weiden/Neustadt/WN. Amtstierärzte aus der Region sind gegen Transporte von Rindern in Tierschutz-Hochrisikostaaten. Sie sind aber gezwungen, dafür nötige Bestätigungen ausstellen. Sie fürchten, die Tiere damit auf eine tierquälerische Reise zu schicken.

Es sind nicht nur Tierschutzvereinigungen, die seit Jahren Transporte von Rindern in Drittländer außerhalb der EU anprangern. Es ist längst auch die Politik, die das nicht mehr will, wie die bayerische Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber und Bundes-Kollege Cem Özdemir.
Auch bayerische Amtstierärzte wehren sich seit langem. Sie sind gezwungen, den Export auch noch abzusegnen. Hintergrund: Sie müssen tierärztliche Vorwegzeugnisse für den Export innerhalb der EU ausstellen, etwa nach Ungarn oder Polen. Das Veterinäramt Miesbach hatte sich 2020 geweigert und war juristisch beim Verwaltungsgerichtshof gescheitert. Problem dabei: Stehen die Tiere länger als 48 Stunden in den EU-Ländern, können sie weiter transportiert werden. Nach Nordafrika, in die Türkei, wohin auch immer.
Veterinäramt Neustadt/WN: „Die Tendenz ist stark steigend“
Das Landratsamt Neustadt/WN nennt hohe Exportzahlen. Laut Sprecher Marcel Weidner hat der Rinderzuchtverband Oberpfalz im letzten Jahr 230 Rinder für den Export vorbereitet. Allein das Veterinäramt Neustadt/WN habe für 95 Export-Rinder die Bestätigungen ausgestellt. Interessant dabei: Der Rinderzuchtverband nennt ganz andere Zahlen. Nach Aussage von Vorsitzendem Erich Pilhofer bei der letzten Mitgliederversammlung im März in Schwandorf ist der „Export 2022 völlig zum Erliegen gekommen“.
Landkreis-Sprecher Weidner warnt dagegen: „Die Tendenz ist stark steigend.“ Im ersten Vierteljahr 2023 seien schon über 300 Oberpfalz-Rinder auf den Weg geschickt worden. Davon waren 157 Landkreis-Tiere für den Export bestimmt: Beim Veterinäramt Neustadt/WN wurden Vorzertifikate für 66 Kalbinnen, 84 Jungrinder und 6 Kühe gefordert. „Würde man die Zahlen aus dem ersten Vierteljahr hochrechnen, so ergäben sich für die Oberpfalz im ganzen Jahr 2023 vierstellige Exportzahlen.“
Gemeldet für Ungarn – aber was kommt danach?
Mit deutlichen Worten kommentiert der Landkreis-Sprecher die Transporte von Rindern in Drittländer. Diese würden von seinen Amtstierärzten „mit großer Sorge betrachtet“. Dies gelte besonders für Transporte in Tierschutz-Hochrisikostaaten. Die Rinder würden bei diesen „gefürchteten Langzeittransporten durch viele Hände gereicht, die alle daran verdienen“.
Problem: „Die Handelsketten bleiben oft im Dunkeln.“ Die meisten Tiere werden beim Veterinäramt Neustadt/WN für Ungarn angemeldet. Die endgültige Ausfuhrmeldung könne dann aber genauso auf ein anderes Land lauten.
Landwirte müssen bei regionaler Vermarktung unterstützt werden
Zwischenhändler bestimmen das weitere Schicksal der Tiere. „Welche Wege die Tiere nehmen, darüber hat das Veterinäramt meist keine nachprüfbaren Informationen.“ Exporte in Länder mit Anbindung an das Meer, wie die Niederlande und Spanien, könnten für die Tiere auch einen langen Weitertransport auf Schiffen ins Ungewisse bedeuten.
Die Entscheidung beginne im Stall des Landwirtes. „Unseren Oberpfälzer Landwirten liegt die Zukunft ihrer Tiere, die sie mit Herzblut und harter Arbeit großziehen, sehr am Herzen“, sagt der Landkreissprecher. Undurchsichtige Ferntransporte müssten abgelöst werden von regionalen Vermarktungsstrukturen. Weidner sieht darin auch „eine Chance für viele junge Landwirte und ihre Tiere“.
Welche Wege die Tiere nehmen, wenn sie Deutschland verlassen haben, und welche endgültige Bestimmung sie haben, darüber hat das Veterinäramt der Herkunftsbetriebe meist keine nachprüfbaren Informationen.
Marcel Weidner, Sprecher des Landkreises Neustadt/WN
Deutliche Worte auch vom Veterinäramt Weiden
Die Bedenken teilt das Veterinäramt Weiden, wie Stadtsprecherin Roswitha Ruidisch mitteilt. Der Langzeittransport von Rindern könne über Wochen und tausende Kilometer gehen. Über Versorgungsstellen außerhalb der EU gebe es keine verlässlichen Daten. „Es ist zu befürchten, dass die teils extremen Temperatureinflüsse den Tieren stark zusetzen.“ Problematisch sehen die Amtstierärzte auch die Tierschutzstandards und Schlachtmethoden in den Zielländern, wie Schächten.
Nach Information von Stadtsprecherin Roswitha Ruidisch liegt die Schwierigkeit auch darin, dass „sich viele Exporte vollständig unserer Prüfung entziehen“. Das sei dann der Fall, wenn die Tiere, insbesondere Kälber, über spezialisierte Händler durch ganz Deutschland gefahren werden. So werden die Tiere erst gar nicht vorattestiert, sondern gehen direkt in den Handel, durchaus auch in das Ausland.
Die Nachfrage verschiedenster Drittländer wie Ägypten, Algerien, Marokko, Tunesien und Türkei, aber auch Russland nach europäischen Rindern sei seit Jahren unverändert hoch. „Gerade auch unsere Rasse des Fleckviehs scheint als Zweinutzungsrasse mit einem guten Milch- und Fleischertrag interessant zu sein.“
Rinderzuchtverband verteidigt Festhalten an Exporten
Der Handel läuft in der Oberpfalz über den Rinderzuchtverband Oberpfalz in Schwandorf. Dort beklagt Vorsitzender Erich Pilhofer den „enormen Einbruch des Exports“. 2022 konnten nur noch 102 Kalbinnen exportiert werden. Pilhofer bestreitet nicht, dass die EU womöglich nicht die letzte Station für die vermittelten Tiere sei: „Wir haben da nie die Garantie, wo das hingeht.“
Er bedauert dennoch den starken Rückgang des Exports um rund 70 Prozent ausdrücklich. Der Export sei „politisch nicht mehr gewollt“, die Auflagen würden immer höher. Im letzten Jahr seien „nur“ noch 102 Kalbinnen aus der Oberpfalz exportiert worden, beispielsweise nach Polen, Ungarn, Serbien, Montenegro. Das sei „ein Bruchteil“ früherer Zahlen.
„Das Geschäft machen dann andere“
Pilhofer macht keinen Hehl daraus, dass ihn das nicht freut. Das Geschäft machten dann andere, argumentiert er: Österreich beliefere weiterhin die Türkei, die stark interessiert am Fleckvieh ist. Bezahlt werden 2.700 Euro pro Tier. Die Oberpfälzer bekommen in Ungarn nur 1.700 Euro. „Das demotiviert.“
Ohne Rentabilität keine Landwirtschaft: Pilhofer sieht einen „dramatischen Rückgang“ bei der Tierhaltung. „Wenn noch mehr aufhören, bekommen wir ein Riesenproblem.“ Schon die Abkehr von der Anbindehaltung und die damit verbundenen Investitionen hätten zu Betriebsaufgaben geführt. Dies hätte weitreichende Folgen, etwa bei der Grünlandbewirtschaftung.
Auch Landwirten wäre tierschutzgerechte Vermarktung lieber
Das Veterinäramt Weiden nimmt ausdrücklich die Landwirte in Schutz. Man wisse aus der Praxis, dass sie sich viele Gedanken um das Tierwohl machen. Sie steckten viel Geld und Arbeit in diesen Bereich. „Gerade diese weitsichtigen Landwirte sehen Exporte kritisch und wollen ihre Tiere nicht auf unsicheren Handelswegen wiederfinden – im schlimmsten Fall in einem Drittland am Schlachthaken.“
Die meisten Landwirte sind in der Situation, dass nicht die gesamte Nachzucht auf dem eigenen Betrieb bleiben kann. Sie müssen die Tiere verkaufen. „Sie wünschen sich jedoch eine transparente, regionale und tierschutzgerechte Vermarktungstruktur für ihre Tiere“, sagt Roswitha Ruidisch. Den Handeltreibenden komme hier ein großes Maß an Verantwortung zu.
Auch der politische Wille: Ausstieg aus Export
„Wir wollen den Ausstieg aus Exporten von Tieren in Drittstaaten. Daher haben wir den bayerischen Zuchtverbänden ein Angebot gemacht, um den freiwilligen, schnellstmöglichen Ausstieg zu unterstützen und abzufedern. Wir lassen unsere Züchter nicht allein.“ (Quelle: Regierungserklärung Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber, 2021)
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