Prozess wegen Vergewaltigung: Für Opfer eine Tortur
Weiden. Der Prozess am Landgericht Weiden wegen Vergewaltigung ist für das Opfer eine weitere Tortur. Weil die Angeklagten (23 und 27) ihre Geständnisse zurückgezogen haben, muss die 20-Jährige in den Zeugenstand.

Für die Geschädigte – eine zierliche Frau von 20 Jahren – ist der Prozess eine weitere Pein. Viereinhalb Stunden wird sie vernommen. Muss in allen widerlichen Details berichten, wie sich zwei Männer an ihr vergangen haben sollen. Der Dritte soll zugesehen haben.
Der ganze Gerichtssaal ist voller Männer. Die Justizwachtmeister, die Vorführpolizisten, die Richter, drei Anwälte, der Landgerichtsarzt und der Staatsanwalt. Wie das eben (noch) ist, bei der Justiz, wo die Frauen erst langsam aufholen. Nur eine Schöffin, eine Übersetzerin und eine Gerichtsschreiberin sind weiblich.
Bekannte der Angeklagten als Zuhörer
Die Vernehmung erfolgt unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Am Aushang brennt ein rotes Lämpchen. Vor der Tür warten die Zuhörer: fünf, sechs Landsleute der Angeklagten, die wissen wollen, was mit ihren Bekannten passiert. Um 10 Uhr beginnt die Vernehmung der jungen Frau. Um 15.30 Uhr ist sie beendet. Die Geschädigte kommt aus dem Schwurgerichtssaal. Muss an all den Männern vorbei. Gerader Rücken. Tapfer.
Zum Trost: Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hat sie ihre Sache gut gemacht. Es habe nur „geringfügigste Widersprüche“ in ihren Aussagen gegeben, so Staatsanwalt Matthias Biehler. Gegenüber Streifenbeamten hatte die 18-Jährige damals von drei Vergewaltigern gesprochen; bei der Kripokommissarin von zwei Tätern und einem passiven Beobachter am Bett. Für den Laien ändert das nichts an der Dimension des Verbrechens, aber für die Verteidiger ist das ein willkommener Ansatz.
Der Ältere der Angeklagten – ein Iraker (27) – sitzt ohnehin schon in Haft, seit er im Februar beim ersten Prozessanlauf sein Geständnis zurückgezogen hat. Auch seinem Freund (Syrer, 23) lässt der Staatsanwalt in einer Verhandlungspause Fußfesseln anlegen. Verteidiger Dominic Kriegel protestiert vergeblich. Das Gericht begründet die Fesselung mit den zahlreichen Zuschauern: „Im Falle eines Aufruhrs wäre die Situation unüberschaubar.“ Am Abend beantragt der Staatsanwalt den Haftbefehl. Nach Prozessende geht es damit für beide in verschiedene Gefängnisse.
Freundin warnt vor Täter-Opfer-Umkehr
Am Donnerstagnachmittag sagen die ersten fünf Zeugen aus. Darunter ist eine Freundin der Angeklagten, jetzt 17, damals 15. Sie stand mit ihr in Telefonkontakt, als diese in der Novembernacht 2021 um Mitternacht noch einmal rausging. Die Freundin war „live“ dabei, als die Geschädigte von der Tankstelle Zigaretten holte. Sie hörte mit, wie diese von drei jungen Männern angesprochen wurde. Ob sie mitgehen wolle, bisschen was trinken, Shisha-Rauchen.
Die Zeugin reagiert allergisch auf die Frage des Richters Florian Bauer, ob ihre Bekannte das öfter mache. „Ist es strafbar, mit Typen mitzugehen, die man nicht so gut kennt? Meine Freundin ist ein ganz normales Mädchen.“ Viel weniger normal sei doch das Verhalten der Männer.
In der Tat muss man sich hüten vor einer Täter-Opfer-Umkehr. Wer die Angeklagten sieht, versteht vielleicht, warum sich die blutjunge Frau wenig dachte. Sie hatte es damals nicht leicht, war froh über die Ablenkung. Die Angeklagten sind eher klein, schmal, wirken völlig harmlos. Sie sprechen gut Deutsch, arbeiten in Firmen, die man kennt.
Wohnungsinhaber schrammt an Festnahme wegen Falschaussage vorbei
Und so ging sie am 14. November 2021 nachts um 1 Uhr mit in die nahe Wohnung eines Irakers (28) in Weiden. Dieser Mann schafft es, dass Richter Matthias Bauer die Fassung verliert. Der 28-Jährige präsentiert sich als der komplett Ahnungslose. Man habe gefeiert, getrunken, getanzt, Musik gehört, dazwischen nochmal Nachschub von der Tankstelle geholt. Irgendwann gegen 4 Uhr wurde der weibliche Gast müde, er bot seine Matratze im Schlafzimmer an.
So weit alles klar. Aber dann wechselt der 28-Jährige seine Versionen so kunterbunt, dass ihm Richter Matthias Bauer die Festnahme wegen Falschaussage androht. Das Gericht nimmt ihn so in die Mangel, dass Anwalt Marc Steinsdörfer einen Zeugenbeistand anregt: „Hier sitzen zwei Iraker und ein Syrer, die wissen nicht mehr, wie ihnen geschieht.“
Der 28-Jährige müsste sich rein rechtlich nicht selbst belasten, tut es dann aber doch. Einmal will er im Wohnzimmer gar nichts mitbekommen haben („ich war betrunken“, dabei hatte er Null Promille). Dann verrät er sich mehr oder minder selbst, als er sagt: „Sie hat nicht geschrien, nicht geweint. Ich habe nicht gesehen, dass sie unter Druck gesetzt wurde. Sie hat kein Leid verspüren müssen.“ Er habe ihr noch die Kleidung gereicht, als sie ging.
Anwohnerin: „Die Tränen sind ihr runtergelaufen“
Sie ging nicht. Sie floh. So beschreibt es eine Anwohnerin, bei der die 18-Jährige um 6 Uhr morgens klingelte. Die 75-Jährige war wegen ihres pflegebedürftigen Mannes schon auf den Beinen. Durch das Korridorfenster sah sie ein „junges Mädchen, eine ganze Zarte“ und öffnete. „Die Tränen sind ihr runtergelaufen. Sie hat schlimm ausgeschaut.“ Die junge Frau berichtete von der Vergewaltigung. Die Seniorin rief die Polizei, die „ruckzuck“ da war.
Den Streifenbeamten kam die Geschädigte „sehr glaubwürdig“ vor. Sie berichtete den Polizisten aufgelöst von der Nacht. Dem zufälligen Kennenlernen, der Einladung zur Shisha. Frühmorgens habe sie sich hingelegt und sei davon aufgewacht, dass die Tatverdächtigen in sie eindrangen. Sie habe protestiert, sich gewehrt, aber das habe diese nicht interessiert.
Weitere vier Verhandlungstage sind vorgesehen. Mit Ärzten, Kripo, Gutachtern. Spätestens am 14. Juli soll ein Urteil fallen. Im ersten Prozess hatte das Gericht nach einem Rechtsgespräch 3,5 bis 4,5 Jahre Haft in Aussicht gestellt, allerdings unter der Voraussetzung von Geständnissen.
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