Politik auf dem Prüfstand – Oberpfälzer Werkstatträte im Dialog
Amberg/Nordoberpfalz. Mitbestimmung ist ein zentrales Recht – auch für Menschen mit Behinderung. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Landtagswahl haben die 15 Werkstatträte der Region Oberpfalz sogenannte „Wahlprüfsteine“ erarbeitet, die Fragen und Forderungen an die politischen Vertreter aller Parteien beinhalten, um deren Pläne und Visionen im Bereich der Behindertenpolitik genauer zu beleuchten.

Als erster Politiker stand jetzt der Landtagsabgeordnete Harald Schwartz(CSU) den Werkstattratsvorsitzenden sowie deren Vertretern und Vertrauenspersonen in Amberg Rede und Antwort. Durch die Podiumsdiskussion führten die Werkstattratsvorsitzenden Joachim Gradl (Amberg) und Ingo Kraus (Irchenrieth). Veranstaltungsort waren diesmal
die Jura-Werkstätten in Amberg. „Toll, dass Sie ein Format wie dieses ins Leben gerufen haben. Ich werde versuchen, so gut es geht zu antworten“, sagte Schwartz zu Beginn der Podiumsdiskussion und betonte, wie wichtig Veranstaltungen wie diese seien, um die Öffentlichkeit für das Thema Inklusion und Teilhabe zu sensibilisieren.
In der knapp dreistündigen Diskussionsrunde ging es um fünf Themenbereiche, in denen sich die Werkstatträte als Interessensvertreter von Menschen mit Behinderung Verbesserungen wünschten.
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
Die erste Forderung der Oberpfälzer Werkstatträte ist eine schnellere Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention mit ihren 50 Artikeln. Was den Betroffenen in den Werkstätten allerdings Sorgen bereite, sei Artikel 27, so Joachim Gradl. Dieser sieht vor, „den Erwerb von Arbeitserfahrung durch Menschen mit Behinderungen auf dem offenen Arbeitsmarkt zu fördern“, was indirekt auf eine Abschaffung der Werkstätten abziele. Die Werkstätten seien für viele Betroffene aber weit mehr als reine Arbeitsstätte, erklärte Gradl unter breiter Zustimmung der Anwesenden und betonte den sozialen Aspekt.
„Der Erhalt der Amberger Werkstätten ist unstrittig“, sicherte der Landtagsabgeordnete den Anwesenden zu. Niemand habe vor, ein Projekt wie die Werkstätten, in das in den letzten Jahren Investitionen im zweistelligen Millionenbereich geflossen seien, zu schließen. Dennoch sei es wichtig und richtig, zu versuchen, mehr Menschen aus den Werkstätten auf den ersten Arbeitsmarkt zu holen – darin waren sich alle Beteiligten einig.
„Inklusion ist in vielen Firmen oft nicht präsent“, erklärte Schwartz weiter, „Diskussionsrunden wie diese tragen dazu bei, Werbung für dieses wichtige Thema zu machen und vielleicht bringen sie das ein oder andere Unternehmen dazu, sich ebenfalls intensiver damit zu beschäftigen, wie Teilhabe von Menschen mit Behinderung in ihrer Firma funktionieren kann.“
Entlohnung von Werkstattbeschäftigten
„Wir Werkstattbeschäftigten erhalten für unsere gute Arbeit nur ein Taschengeld und sind häufig auf Grundsicherung angewiesen“, so der Werkstattratsvorsitzende aus Irchenrieth, Ingo Kraus. Die Forderung: Mindestlohn nein, Basisgeld ja. Denn Werkstatt-Mitarbeitende würden durch die Zustimmung zum Mindestlohn auf viele ihrer Schutzrechte wie Arbeitsplatzgarantie, den Verzicht auf Leistungsverpflichtung und die praktische Unkündbarkeit verzichten. Das Basisgeld dagegen sieht vor, dass jeder Berechtigte einen Beitrag von 70 Prozent des deutschen Durchschnittseinkommens erhält. Die Grundsicherung würde damit entfallen.
„Bislang kommen sich unsere Mitarbeitenden immer wie Bittsteller vor“, erklärt Christian Schafbauer, stellvertretender Geschäftsführer der Jura-Werkstätten. „Durch das Basisgeld würde der bürokratische Aufwand weniger werden, da beispielsweise die Beantragung der Grundsicherung entfallen würde“, ergänzt der Amberger Lebenshilfe-Vorstand Eduard Freisinger. Sonderzahlungen – selbst bei Kleinstbeträgen von unter 50 Euro – würden bislang nicht abzugsfrei ausgezahlt.„Das ist bei Werkstatt-Mitarbeitern, die teilweise nur einen Lohn von 130 bis 500 Euro im Monat erhalten, extrem viel Geld“, so Gabrielle Reil, die Werkstattratsvorsitzenden Ingo Kraus als Vertrauensperson zu dem Termin begleitete. Harald Schwartz versprach, dieses Anliegen mit in den Bundestag zu nehmen und sich hier für die Interessen der Werkstatt-Mitarbeitenden einzusetzen.
Teilhabe und Barrierefreiheit
In der dritten Forderung sprachen die Werkstatträte das Thema Teilhabe und Barrierefreiheit an. Hier gebe es noch immer zu viele Hindernisse, weshalb sich Menschen mit Behinderung oftmals diskriminiert fühlten, so Gradl. „Es kann nicht sein, dass man heutzutage mit Rollstuhl, um einen Facharzt zu besuchen, auf die Hilfe Fremder angewiesen ist, die einen die Treppen nach oben tragen, weil es keine Aufzüge gibt“, so Amberger Lebenshilfe-Vorstand Eduard Freisinger. Dem stimmte Schwartz zu, warb aber gleichzeitig um Verständnis, dass die Komplexität vieler Projekte wie die der „barrierefreien Bushaltestellen“ unterschätzt werde und deutlich mehr Zeit in der Umsetzung benötigten, als
wünschenswert.
Inflationsausgleichsprämie
Steigende Energiekosten treffen Werkstatt-Beschäftigte mit ihren geringen Löhnen besonders hart. Daher war eine der dringendsten Fragen: Wird es auch in diesem Jahr wieder ein Energie-Entlastungspaket geben. „Ich lehne mich einmal so weit aus dem Fenster, zu sagen, dass etwas in der Art noch einmal kommen wird“, sagte Harald Schwartz. „Für unsere Werkstatt-Mitarbeitenden bringt das allerdings nur etwas, wenn der Gesetzgeber entscheidet, dass die Ausgleichspauschale oder Sonderzahlung nicht zum anrechenbaren Einkommen zählt. Wird es auf die Grundsicherung angerechnet, haben unsere Mitarbeitenden in der Summe nichts davon“, erklärte Geschäftsführer Bernhard Albrecht.
Mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
Wie muss sich der Arbeitsmarkt verändern, damit auch Menschen mit Behinderung darin Fuß fassen können? „Wir haben bereits einige Werkstatt-Mitarbeitende, die in Unternehmen der Region arbeiten. Das klappt sehr gut“, sagte Bernhard Albrecht. Was allerdings nach wie vor schwierig sei – die Unternehmen scheuten den letzten Schritt, Werkstattgänger, die bereits seit Jahren erfolgreich im Unternehmen arbeiten, fest zu übernehmen, so der Geschäftsführer der Jura-Werkstätten weiter.
„Glauben Sie nicht, dass man Sie nicht will“, ermutigte Harald Schwartz. „Viele Unternehmen haben das Thema Inklusion einfach nicht auf dem Schirm. Aber eine Veranstaltung wie diese, ist eine tolle Möglichkeit, auf darauf aufmerksam zu machen, sagte er abschließend. Folgeveranstaltungen mit anderen Parteien sind bereits in Planung.
* Diese Felder sind erforderlich.