[Update] Messerstich nach Discobesuch: „Mir ist meine Tat unerklärlich“
Weiden. Ein Handwerker (22) aus Weiden steht seit Mittwoch wegen versuchten Totschlags vor Gericht. Er soll im Januar 2023 nach einem Discobesuch einen Kontrahenten (23) fast erstochen haben.

Ein 22-jähriger Deutscher muss sich seit Mittwoch wegen versuchten Totschlags vor der 1. Strafkammer des Landgerichts Weiden verantworten. Dem Weidener wird vorgeworfen, am frühen Morgen des 15. Januar 2023 in der Altstadt einen jetzt 23-Jährigen mit einem Messer lebensgefährlich verletzt zu haben. Der Geschädigte hatte damals mehrere Stunden notoperiert werden müssen. Ihm musste die Milz entfernt werden. Staatsanwalt Wolfgang Voit: „Ohne die Notoperation wäre der Geschädigte binnen weniger Stunden verblutet.“
Die beiden jungen Männer hatten zuvor unabhängig voneinander eine Disco in der Judengasse besucht. Danach sei es auf Höhe des Juweliergeschäfts zu einem Streit und einer Schubserei gekommen, so die Anklage. Die Gruppe des späteren Opfers zog weiter in Richtung Oberes Tor. Der 22-Jährige folgte. Etwa beim Hutgeschäft trafen die beiden Kontrahenten nach Erkenntnissen der Ermittler gegen 6 Uhr wieder aufeinander.
Waffe in Pflanzgitter versteckt
Der Angeklagte soll ein Einhandmesser mit einer Klingenlänge von 9,2 Zentimetern gezogen haben und dem anderen Mann mit der rechten Hand von unten in den Rücken gestochen haben. Dabei brach eine Rippe. Er traf die Milz, die komplett durchstochen wurde. Voit: „Das Messer drang – durch die Oberbekleidung hindurch – etwa sechs Zentimeter in den Körper ein.“
Zwei Freunde des Opfers gingen dazwischen. Einer hielt den Messerstecher zurück, der andere zog den Blutenden auf die Seite. Der Angeklagte soll einige Meter weggelaufen sein und die Tatwaffe in einem Pflanzgitter versteckt haben. Dann kehrte er zum Tatort zurück, wo ihn eine Polizeistreife festnahm.
Beide mit über 1 Promille
Laut Staatsanwaltschaft war der 22-Jährige „trinkgewohnt“, aber dennoch „vollumfänglich in der Lage, das Unrecht eines Handelns einzusehen“. Er hatte bei einem Atemalkoholtest um 6.20 Uhr 0,88 Promille, eine Blutprobe um 7.40 Uhr ergab 1,7 Promille. Auch das Opfer hatte getrunken (1,07 Promille) und Cannabis konsumiert.
Der Weidener befindet sich seither in Untersuchungshaft. Er wird verteidigt von Rechtsanwalt Thomas Lößel (Altdorf).Anwalt Dr. Hans-Wolfgang Schnupfhagn vertritt den Geschädigten als Nebenklagevertreter.
Angeklagter: „Mir ist meine Tat unerklärlich“
[Update, 10 Uhr]
Der Elektriker (22) nimmt per Verteidigererklärung Stellung. Wie Anwalt Lößel sagt, gebe der Angeklagte den Stich zu. Nach seiner Erinnerung sei es kein gezielter Stoß gewesen. Vielmehr habe er das Messer in der Hand gehalten, als er den anderen in die Seite schlug: „Was es natürlich nicht besser macht.“ Dem Stich sei ein Streit vor der Disco vorausgegangen, der erst in eine Schubserei mündete. Dabei fiel die Brille des Angeklagten herunter, zudem ging eine Freundin zu Boden.
Unmittelbar nach dem Stich sei er sich des Ausmaßes seiner Tat bewusst geworden und habe sofort abgelassen. „Erschrocken über mich selbst habe ich meine Handlung sofort abgebrochen.“ Er entschuldige sich „aufrichtig“ und könne ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro anbieten, für das er sich hoch verschulden habe. „Mir ist meine Tat unerklärlich“, lässt der 22-Jährige über Anwalt Lößel erklären.
Er sei in keinster Weise ein aggressiver Typ. „Wenn Sie sich die Mühe machen, wird Ihnen jeder aus meiner Umgebung sagen, dass ich kein gewaltbereiter Mensch bin“, appelliert er an das Gericht. Der Schwurgerichtskammer gehören neben Vorsitzenden Peter Werner die Richter Florian Bauer und Matthias Bauer an.
Opfer: Freund machte ihn auf Blut am Rücken aufmerksam
[Update 10.20]
Das Opfer (23) war in der Januar-Nacht mit Kumpels in der Disco und hatte erheblich getrunken. „Ich war besoffen“, räumt er freimütig vor Gericht ein. Die Freundesgruppen waren gegen 5, halb 6 gemeinsam aus dem Club in der Judengasse gekommen, der um diese Zeit schloss. Er habe den Angeklagten angesprochen, im Sinne von „Was geht?“. Dieser habe sofort aggressiv reagiert, er solle sich „verpissen“.
Der Geschädigte gab Widerworte („Wieso?). Die Freundin des Angeklagten habe ihm eine Ohrfeige verpasst: „Sie hat mich geklatscht.“ Und schon war die schönste Schubserei im Gange, bei der die junge Frau hinfiel, was laut Opfer auch an Schnee und Regen gelegen haben könnte.
Kurzum: Er und seine zwei Kumpels hätten versucht, sich zu entfernen. „Für uns war das erledigt.“ Der Angeklagte sei immer wieder hinterher gekommen. Erst bis zum Juweliergeschäft an der Ecke zum Oberen Markt. Schließlich bis zum Hutgeschäft in Richtung Oberes Tor. Dort habe er dann von hinten etwas gefühlt und sei von einem Freund auf das Blut an seinem Rücken aufmerksam gemacht worden.
Er stellte unter der Winterjacke eine starke Blutung fest, der Freund rief den Notruf. Vom Angeklagten sah er nicht mehr viel: „Er lief mit einem Messer in der Hand weg.“ Er habe noch gehört, wie dieser zu seinen Freunden sagte: „Ich bin jetzt locker 15 Jahre weg.“
Der Geschädigte, ein afghanischer Staatsangehöriger, gibt an, nach der Tat seine Arbeit verloren zu haben. Der Job war bis August befristet, er kann nach der schweren Verletzung nicht mehr heben wie zuvor.
[Update 15.30 Uhr]
Als erste Zeugen werden am Mittwoch der Geschädigte und sein Freund sowie weitere Discobesucher erwartet. Der Club hatte damals etwa zur Tatzeit Schluss gemacht, daher waren zu dieser frühen Stunde relativ viele Augenzeugen unterwegs.
Ihre Versionen unterscheiden sich im Prinzip alle ein wenig. Erfolgte der Stich von hinten oder von vorne? Musste der Täter zurückgehalten werden oder ließ er von selbst ab? Was genau sagte der Angeklagte nach der Tat? Ein 32-jähriger Discobesucher aus Nordrhein-Westfalen will gehört haben, wie er rief: „Wenn ich dafür 15 Jahre bekomme, scheißegal.“
Es sind drei Verhandlungstage angesetzt. Den ersten Prozesstag verfolgten rund zwei Dutzend Zuhörer.
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