Gericht verhandelt auf Dachterrasse: Autokratzer vor Pizzeria
Weiden. Das Amtsgericht Weiden verhandelte am Dienstag auf der Dachterrasse einer Pizzeria. Von hier aus hat ein Bewohner im Juni 2022 einen potenziellen Autokratzer beobachtet. Rund um das Restaurant hatte es zuvor eine Serie an Beschädigungen gegeben.

2021/2022 waren in unmittelbarer Umgebung der Pizzeria etwa 15 Autos verkratzt worden. Es traf jedes Mal Gäste oder Mitarbeiter. Der Schaden: im hohen fünfstelligen Bereich. Die Polizei nahm sich der Sache an. Zeitweise liefen sogar Kameras, ohne verwertbare Treffer.
Im Verdacht stand ein Rentner (77), der in der Nähe wohnt. Er macht keinen Hehl daraus, dass er nicht happy über die 2021 neu eröffnete Pizzeria ist. Dort war zwar schon immer eine Gaststätte, aber noch keine lief derart gut. Jeden Abend sei die Straße zugeparkt. „Ich kann keinen Abend auf meiner Terrasse sitzen“, klagt der alleinstehende Witwer vor Gericht. Vor allem stört ihn, dass „nicht ordnungsgemäß“ geparkt werde. Zu nah an der Kreuzung. Zu nah am Zaun. Mit vier Reifen auf dem Radweg. Vor seiner Einfahrt.
Rentner führt Buch über Falschparker
Einige Male rief er bei der Polizei an, die aber „nur ein-, zweimal kontrollierte“. Und so fing der Senior an, eine Art selbst entworfener Strafzettel an die Autos zu hängen. Er fotografierte die Falschparker und notierte die Kennzeichen. Er findet seine Aktion „erfolgreich“: „Es gab keine Wiederholungstäter.“ Manchmal sprach er die Autofahrer auch direkt an. Mit unterschiedlicher Reaktion. Die einen sagten: „Da haben Sie recht.“ Die anderen: „Dann ziehen Sie doch woanders hin.“
„Ich hätte das mit den Zetteln gern weitergemacht“, sagt er vor Gericht. Die Polizei habe ihn schließlich aufgefordert, die Verteilung zu unterlassen. Der Rentner wirkt trotzig: „Ich werde mich künftig nicht mehr um die Sicherheit kümmern.“
Rund 15 Strafanzeigen wegen verkratzter Autos
Bis hierhin kann man darüber noch irgendwie schmunzeln. Wenn da nicht parallel eine unheilvolle Serie beschädigter Autos gewesen wäre. Immer wieder sah sich die Wirtin mit Gästen konfrontiert, die nach dem Genuss von Pizza und Pasta einen verkratzten Lack am Pkw feststellten. „Das war schon fast geschäftsschädigend“, sagt die Gastronomin. Über Social Media wurden die Erlebnisse geteilt. Etwa 15 Geschädigte erstatteten Strafanzeige.
Der Rentner landete vor Gericht. Ein Hausbewohner über der Pizzeria hatte den weißhaarigen Herrn an einem Juniabend 2022 an einem geparkten Auto beobachtet. Der Zeuge rief die Polizei, die einen langen Kratzer an der Beifahrerseite feststellte. Das Auto gehörte einer Bauzeichnerin (33) aus Tirschenreuth, die mit ihrem Freund beim Essen war. Sie ist sich sicher, dass ihr fast neuer weißer Mazda vorher unbeschadet war. Schaden: über 1100 Euro.
Vor Gericht kann letztlich nicht hundertprozentig geklärt werden, ob der 77-Jährige wirklich in den Lack geritzt hat. Der Angeklagte sagt, er sei bloß auf dem Weg zum eigenen Wagen vorbeigegangen. Der Kratzer? „Ich war’s nicht und ich war’s nicht und ich war’s nicht.“ Fest steht aber auch, dass ab diesem Abend Schluss mit den Beschädigungen war.
Augenschein auf der Dachterrasse
Richterin Carina Särve versucht am Dienstag um 8 Uhr morgens beim Ortstermin eine endgültige Klärung. Alle müssen mit auf die Dachterrasse der Pizzeria: die Protokollführerin des Amtsgerichts, Staatsanwalt Oliver Kugler, Verteidiger Hans-Wolfgang Schnupfhagn. „Espresso? Cappuccino?“, bietet die Wirtin routiniert fröhlich an. „Lieber nicht“, winkt die Richterin ab. Dann prüfen die Juristen die Aussicht.
Zentrale Frage: Kann der Hausbewohner von seiner Dachterrasse wirklich so gut auf den Tatort blicken? Feststellung: Ja, das könnte er, wenn da nicht ein Fliederbusch die Sicht versperren würde. Und schon steht die nächste Frage im Raum: War dieser Fliederbusch im Juni 2022 auch so groß?
Am Ende Einstellung gegen Geldauflage
„Ein Schmarrn ist das irgendwie“, entfährt es der Richterin bei der Fortsetzung der Verhandlung im Gericht. „Man kann noch ewig über diesen Fliederbusch streiten.“ Einen Freispruch hält sie für „nicht so wahrscheinlich“, aber sie stellt eine Einstellung in den Raum. Der 77-Jährige sei bisher unbescholten durchs Leben gegangen. „Ich bin sicher, ich sehe Sie hier nie wieder.“ Die Serie sei zudem beendet.
Staatsanwalt Oliver Kugler kann damit leben, auch wenn er von der Schuld des Rentners ausgeht. Verteidiger Hans-Wolfgang Schnupfhagn überzeugt den Angeklagten schließlich, dass „Deckel drauf“ hier der beste Weg ist. Eine Win-win-Situation: Für den 77-Jährigen ist ein Schuldspruch vom Tisch, für die Justiz ein mühsames Berufungsverfahren.
Der Gewinner? „Sternstunden“ und die „Tafel“
Und so wird das Verfahren gegen die Zahlung einer Geldauflage eingestellt. Der Witwer darf sich selbst aussuchen, an welche caritativen Einrichtungen er 1500 Euro überweist. Er wählt „Sternstunden“ und die „Tafel“, die er seit langem unterstütze. „Das freut mich jetzt sogar.“
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