BHS Tabletop und Keramische Industrie fordern Energie-Krisenplan

Berlin/Weiden. Ein Stopp der Gaslieferungen aus Russland hätte für energieintensive Unternehmen katastrophale Folgen. Das machen Gernot Egretzberger, Vorstand der BHS tabletop AG, und Christoph Holler vom Bundesverband Keramische Industrie in einer Videoschaltung mit den CSU-Bundestagsabgeordneten Albert Rupprecht und Hans-Peter Friedrich deutlich.

Der Weidener CSU-Bundestagsabgeordnete Albert Rupprecht (CSU, links oben) lädt zu einer Videoschalte mit Gernot Egretzberger (rechts), Vorstand der BHS tabletop AG, und Christoph Holler vom Bundesverband Keramische Industrie. Screenshot: jrh

Vor drei Wochen forderten die Ministerpräsidenten Bayerns und Nordrhein-Westfalens, Markus Söder und Hendrik Wüst, in einem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ einen „Energieplan für Deutschland“. Zu diesem Zeitpunkt gehen die Energiepreise bereits durch die Decke, obwohl der katastrophale Krieg in der Ukraine noch nicht begonnen hat.

Forderung eines Energieplans

Die Forderungen vom 20. Februar, vier Tage vor Putins Überfall auf die Ukraine, sind heute drängender denn je. Dazu gehört der prosaische Satz: „Stabile Energiepreise in Deutschland sind entscheidend.“ Zudem: „Die Mehrwertsteuer für Erdgas, Erdwärme und Fernwärme muss auf 7 Prozent und die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß reduziert werden.“

Es folgt der Appell, die EEG-Umlage schnellstens abzuschaffen und die Carbon-Leakage-Verordnung zu erneuern. Der Grundgedanke der zuletzt genannten Regelung: Unternehmen, die fossile Brennstoffe einsetzen, werden Kosten ausgesetzt, die sie nicht auf die Produktpreise abwälzen können, wenn ausländische Wettbewerber keiner solchen CO2-Bepreisung unterliegen. Dieser Druck birgt die Gefahr, dass die Unternehmen ihre Produktion in Länder verlagern, in denen es keine CO2-Bepreisung gibt. Dieses Phänomen wird „Carbon Leakage“ genannt.

Zubau von Gaskraftwerken ein Holzweg

Und ja, manche Forderung klingt nach vier Wochen bereits wie aus einem anderen Zeitalter: „Neben dem Ausbau der Erneuerbaren Energien brauchen wir dafür den raschen Zubau moderner Gaskraftwerke. Sie können uns den Übergang zu langfristig klimaneutralen Kraftstoffen wie Wasserstoff ermöglichen, ohne dass wir jetzt einen Blackout riskieren.“ Vor genau diesem Blackout warnen die Vertreter der keramischen Industrie angesichts zweier Szenarien:

  • Der Forderung, die unter anderem der zweifach als CDU-Chef-Kandidat gescheiterte Norbert Röttgen vorgetragen hat, sofort Nordstream 1 zu schließen.
  • Der Drohung Putins, Russland könne auch selbst den Gashahn abdrehen.
Der Flachgeschirrofen in Weiden wurde auf 104 Meter Wandfläche mit einer speziellen Hochtemperatur-Isolierung komplett neu ausgestattet und spart dadurch 35 Tonnen CO2 bei jedem Aufheizen. Bild: BHS Tabletop AG. 

CSU will Ampel mobilisieren

Die CSU-Abgeordneten suchen angesichts dieser wirtschaftlichen Bedrohungskulisse nach pragmatischen Lösungsansätzen. „Was sollen wir präzise im Bundestag miteinbringen?“, will der Weidener Bundestagsabgeordnete Albert Rupprecht, der zu dem Meinungsaustausch geladen hat, wissen. „Viele Unternehmen in unserer Region sind energieintensiv, deshalb hat dieses Thema für uns hohe Relevanz.“

Der frühere Innenminister Hans Peter Friedrich (Wahlkreis Hof) überlegt angesichts der „dramatischen Verschärfung der Situation, wo wir ansetzen müssen, um die Ampel zu mobilisieren“.

Ohne Gaslieferungen keine Keramik

Verbandschef Christoph Holler stellt die Sanktionen gegen Russland nicht in Frage. „Wir möchten nur auf die Folgen hinweisen.“  Würde Deutschland ein sofortiges Gas-Embargo verhängen oder „jemand den Hahn zudrehen“, wären die Öfen nicht mehr brauchbar: „Die können nicht so einfach abgeschaltet werden, sie brauchen einen Vorlauf.“  

Er sei Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) dankbar, dass dieser selbst auf die Systemrelevanz etwa der medizinischen Keramik oder der Bedeutung der Keramik in Windrädern für die Energiewende hinweise. „Wenn wir uns medizinisch oder klimapolitisch autark machen wollen, braucht man auch Gas – wenn wir keines mehr bekommen, stehen wir mit dem Rücken zur Wand“, sagt Holler.

Senkung der Energiesteuer

Es sei nicht damit getan, einfach zu fordern: „Dann frieren wir halt mal.“ Die Gaslager seien unterdurchschnittlich und regional sehr unterschiedlich befüllt: „Ich bin mir nicht sicher, ob wir damit bis zum Winter kommen.“ Deshalb wolle sein Verband „etwas mehr für die Versorgungssicherheit sensibilisieren“. Man sei stärker auf Gas als auf Strom angewiesen. Der Preisdruck sei bei allen Komponenten erheblich. „Eine Senkung der Mehrwertsteuer nützt den Bürgern, für uns wäre die Senkung der Energiesteuer wirksamer“, formuliert Holler einen Wunsch an die Politik.

Ein weiterer wichtiger Punkt: „Die vorübergehende Aussetzung der nationalen CO2-Bepreisung.“ Das bringe gerade den Unternehmen, die aufgrund der Pandemie in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckten, sofort eine Entlastung. „Die Porzellanbranche hat Corona heftig getroffen.“ Aber insolvenzgefährdete Unternehmen könnten aufgrund der EU-Gesetze keine Rückerstattung bekommen.

8 bis 9 Millionen Euro Energiekosten

BHS-Tabletop-Vorstand Gernot Egretzberger beschreibt den enorm schwierigen Transformationsprozess, den sein Unternehmen hinter sich habe. Man sei gerade wieder in die schwarzen Zahlen gekommen, bevor der Preisschock mit 8 bis 9 Millionen Euro für die Energiekosten eingesetzt habe. „Wenn wir alles zusammennehmen, ist eine Senkung der Energiesteuer um ein Drittel ein guter Schritt“, sagt Egretzberger, „aber eigentlich brauchen wir 50 Prozent.“ Man solle sich nichts vormachen: „Ohne Erdgas gibt es kein Porzellan.“ Er sei ständig im Kontakt mit der Technik: Alternativen seien kurzfristig nicht in Sicht.

„Dass das EEG auf 0 gesetzt wird, das setze ich voraus“, sagt Egretzberger, „darüber möchte ich gar nicht mehr sprechen.“ Dann müsse schnell die Energiesteuer gesenkt werden: „Wir können den Kunden nicht sagen, zahlt 100 Prozent mehr“, erklärt er die Lage. „Die Aussetzung der CO2-Bepreisung finde ich gut – ob das bis Ende 22 reicht, da mache ich ein Fragezeichen dran.“ Die Sanktionen würden lange wirken. Wie existenzbedrohend die Lage sei, zeige der offene Appell von Heinz-Glas: „Helft uns, sonst sind wir pleite“, schreibe die Geschäftsführerin. „Wir müssen alle an einem Strang ziehen, um die Arbeitsplätze zu erhalten.“

Kein Chemiedreieck ohne Nordstream

Hans-Peter Friedrich hat größtes Verständnis für die Industrievertreter: „Auch das Chemie-Dreieck kann ohne Nordstream 1 dicht machen“, warnt der oberfränkische CSU-Bezirksvorsitzende. Deshalb solle ja keiner auf die Idee kommen, „von uns aus den Hahn abzudrehen“. Allerdings: „Trotzdem müssen wir damit rechnen, dass der Putin das macht, wenn er so mit dem Rücken zur Wand steht.“ Deshalb brauche es dringend einen Energie-Krisenplan.

Den großen Wurf gebe es nicht, aber viele kleine Stellschrauben: „Holländisches Gas, Fracking in Niedersachsen, das könnten wir wieder anfahren.“ Allerdings komme man damit allenfalls auf eine Bedarfsdeckung von 2 Prozent. „Gerade werden wie verrückt LNG-Terminals (Liquefied natural gas terminal für Flüssiggas) gebaut“, sagt Friedrich, „aber machen wir uns nichts vor, unter drei Jahren geht da bei unseren Bauvorschriften nichts.“

Habeck unter Druck der Grünen Jugend

Auch schwimmende LNG-Terminals zum Preis von 150.000 Euro am Tag würden diskutiert. „Aber es hilft alles nichts, wenn die Infrastruktur fehlt.“ Deshalb sieht der Warner vor der Deindustrialisierung Deutschlands nur eine Lösung: „Wir müssen auf Sicht Kohle und Kernenergie am Netz lassen, da darf sich die Regierung nicht ideologisch verweigern.“ Allzu optimistisch, schnelle Entlastungen erreichen zu können, ist er allerdings nicht: „Man hat uns bereits vonseiten der Ampel signalisiert“, dämpft er Hoffnungen, „dass man keine wilde Subventioniererei mitmachen würde – dazu gehören auch Steuersenkungen.“

Ohne solche stehe aber die Glasindustrie im Frankenwald und Thüringen vor dem Aus: „Mir schwant Fürchterliches“, sagt Friedrich. Dabei stelle die EU eine Tool-Box mit Instrumenten zur Energiepreissenkung zu Verfügung: „25 von 27 Ländern haben bereits davon Gebrauch gemacht, Deutschland nicht.“ Den Grünen Superminister Habeck erlebe er bei allen Einlassungen sehr nachdenklich und vernünftig: „Aber er steht unter unheimlichem Druck seiner Partei“, glaubt Friedrich, „unser eigentliches Problem sind die jungen Leute, die noch immer beseelt von Fridays for Future sind und die Belange der Wirtschaft nicht sehen.“

Stunde der Verbände

Das sei jetzt die Stunde der Verbände, findet Friedrich, „richtig laut zu sein“. Man müsse Unternehmen, die kurz vorm Absaufen stünden, Liquidität verschaffen. „Eine Aussetzung der CO2-Bepreisung halte ich für unrealistisch, das werden sie so generell nicht machen“, zumal die Regierung schon bei der Aufrüstung und Bewaffnung der Ukraine eigene Kernpositionen aufgegeben habe.

Bessere Chancen sehe er für die Carbon-Leakage-Regelung: „Hier ist zumindest eine Entlastung für die keramische und Glasindustrie von 80 Prozent möglich.“ Weil man im Wirtschaftsministerium noch nicht ganz verstanden habe, dass man auch für die Wirtschaft da ist, sei es gut, den Druck aufrecht zu erhalten.  „Der Schaden ist jetzt schon enorm, die Auswirkungen werden spätestens im Sommer mit voller Wucht zu spüren sein.“

Rückenwind von Grünen aus Baden-Württemberg

Auch auf Unterstützung vom baden-württembergischen Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) darf die Industrie hoffen. Dieser möchte die Ausnahmen vom CO2-Preis für die Wirtschaft deutlich unbürokratischer handhaben.

Nach Unterstellers Überzeugung sind die Pläne der Bundesregierung zur Entlastung von Unternehmen im Zusammenhang mit dem CO2-Preis unzureichend. In seinem Antrag heißt es daher, die von der Bundesregierung geplanten Regelungen stellten „insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) eine große und in vielen Fällen kaum überwindbare Hürde dar“.

Weidens CSU-Bundestagsabgeordneter Albert Rupprecht sucht nach pragmatischen Lösungen für die keramische Industrie. Bild: Jürgen Herda

Rupprechts Forderungskatalog

Rettungsschirm: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck habe zugesagt, es müsse genau wie bei der Pandemie einen Rettungsschirm auch für vom Ukraine-Krieg betroffene Unternehmen geben. „Diese Zusage ist gemacht“, sagt Albert Rupprecht, „da sollten wir ihn nicht mehr rauslassen.“

Versorgungssicherheit: Die Bundesregierung müsse einen Energie-Krisenplan vorlegen. Unternehmen, die Gas im Produktionsprozess nicht substituieren könnten, müssten priorisiert entlastet werden.

Preis: Über die Carbon-Leakage-Regelung und die Energiesteuer könne man die Kosten am schnellsten senken. „Was wir jetzt eintüten, hilft uns über Jahre.“ Dabei wolle man nicht mit der Gießkanne hantieren, sondern denen helfen, die in Schwierigkeiten sind.

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1 Kommentare

F. - 23.04.2022

Das sind ja erschreckende Positionen. Man hat also die letzten zwanzig Jahre keine Vorbereitung auf die Klimakatastrophe vorgenommen?
Und nun solche Sätze:
„unser eigentliches Problem sind die jungen Leute, die noch immer beseelt von Fridays for Future sind und die Belange der Wirtschaft nicht sehen.“
Ich glaube das eigentliche Problem sind Leute, die meinen mit genügend Lobbyarbeit noch um jede Veränderung herumzukommen und weiterhin planen, auf Kosten des Planeten zu wirtschaften.