Abschiedstournee oder Fußballwunder: Ein letztes Mal der HSV im Jahn-Stadion?

Regensburg. Jahn-Neutrainer Joe Enochs kann auch zupacken, wenn es darauf ankommt (wir berichteten). Ob HSV-Coach Tim Walter deshalb diese Woche mit seinen Jungs beim Kampfsport reinschnupperte? Am Sonntag, 13.30 Uhr, müssen die beiden ungleichen Gegner im ausverkauften Jahn-Stadion gewinnen – um auf- oder eben nicht abzusteigen.

Jahn-Trainer Joe Enochs plant schon für alle Szenarien. Foto: jrh

„Gerade bei den Kampfsportlern ist die Technik entscheidender als die Kraft“, nimmt HSV-Trainer Tim Walter von der Schnupperstunde in der Kampfsportschule unter der langen Trainingswoche mit. „Das haben wir beeindruckend kennengelernt.“ Gleichzeitig werde aber auch die Kampfeslust geweckt.

Und die will er im Kampf um Platz 2 in Regensburg hervorkitzeln. Während die Konkurrenz mit vier Punkten Rückstand – St. Pauli (53 Punkte) gegen Düsseldorf (53) – und die mit vier Punkten Vorsprung – Heidenheim (61) gegen Paderborn (51) – am Samstag vorlegt, will der Hamburg SV nach zuletzt zwei verspielten Führungen (2:3 in Magdeburg, 2:2 gegen Paderborn) nicht beim Vorletzten schon wieder patzen.

„Mit aller Energie, mit aller Power und mit der Hilfe unserer Fans“, sagt der gut gelaunte Walter, wolle man das schwere Spiel am Sonntag gewinnen. „Das ist für uns das Entscheidende, dass wir uns darauf fokussieren.“ Man wisse, dass man zuletzt zu viele Tore kassiert habe: „Wir haben viele Fehler gemacht, das passiert“, räumt er ein. „Daran arbeiten wir hart, trotzdem finde ich, dass da auch Vertrauen in die Spieler wichtig ist, weil ich weiß, dass sie alles investieren werden, um das abzustellen.“

HSV auf neuen Trainer eingestellt

Für beide Mannschaften gehe es in den letzten Spielen darum, noch mal alles aus sich herauszuholen. „Und da ist es gar nicht so entscheidend, ob sie einen neuen Trainer haben oder nicht.“ Beide Teams brauchen die Punkte. „Deshalb werden sie auch alles investieren – für uns ist entscheidend, dass wir gut vorbereitet sind auf den Gegner, dass wir wissen, was sie machen, auch von Spielen, wo der Trainer vorher tätig war.“

Deshalb habe Walter auch Zwickau-Spiele in die Analyse miteinbezogen: „Das war unsere Aufgabe, alle Eventualitäten auszuschließen, was der Trainer, die Mannschaft machen könnten – alles andere liegt an uns.“ Und was hat er da gesehen? „So wie er schon immer gespielt hat, sehr kompakt verteidigen, mit langen Bällen agieren – deshalb ist es wichtig, auf zweite Bälle gut vorbereitet zu sein und trotzdem dann auch die Umschaltmomente für sich selber zu nutzen.“

Joe Enochs: „Wir wollen das Wunder schaffen“

„Wir wollen das Wunder schaffen“, feuert Joe Enochs seine neue Mannschaft vor dem vielleicht letzten Spiel gegen den HSV für viele Jahre rhetorisch an. Wobei: Motivieren müsse er die Spieler eigentlich gar nicht. „Ich habe eine solche Vorfreude auf das Spiel am Sonntag“, sagt der neue Cheftrainer, „ich glaube, die Mannschaft auch, hier im Stadion vor 15.000 Zuschauern, was besseres gibt es nicht – es geht darum, den Jungs Spaß am Fußball zu vermitteln, auch eine gewisse Ernsthaftigkeit, aber es dann einfach zu genießen.“

Klar, dass die Neuverpflichtung, die zuletzt knapp fünf Jahre den abstiegsbedrohten Drittligisten FSV Zwickau betreute, an „unsere Chance“ glauben muss. Aber auch „die Gespräche, die wir mit der Mannschaft geführt haben“, hätten ergeben: „Die glauben auch daran. Das Trainerteam glaubt daran, die Vereinsführung glaubt daran und auch die Mannschaft, das ist das wichtigste.“

Alles für die kleine Chance

Und er selbst? „Ich sowieso“, sagt der 51-jährige Enochs, der zwei Jahrzehnte seines Fußballerlebens beim VfL Osnabrück zubrachte. „Ich bin ein sehr optimistischer Mensch und ich habe schon so viel im Fußball erlebt.“ Das wiederum sei natürlich noch keine Erfolgsgarantie, „nur weil ich daran glaube – aber wir werden alles daransetzen, alles hinten anstellen, um diese kleine Chance zu wahren“.

Was er anders machen wolle als sein Vorgänger? Zurückschauen will der Kalifornier mit Kriminalistik-Abschluss nicht. „Mersad hat seit Jahren eine überragende Arbeit gemacht“, lobt er, „der Verein ist mir sehr sympathisch, weil er sich so schwertun mit solchen Entscheidungen.“ Nur so viel: „Wir werden ein paar neue Impulse brauchen, hatten gestern auch eine taktische Einheit.“ Es gehe darum, alles ein wenig zu vereinfachen, „damit wir die Köpfe freibekommen, nicht so viel nachdenken, dass wir es genießen, Fußball zu spielen.“

Bene Saller wieder dabei

Letztendlich sei es ein Spagat: „So ein wenig Lockerheit zu finden nach den letzten Tagen, aber trotzdem auch die nötige Ernsthaftigkeit.“ Nach den ersten Trainingseindrücken wähnt er die Mannschaft auf einem guten Weg. „Die Qualität ist hoch. Man sieht vielleicht ein paar Blockaden bei Spielern, die etwas hinten dran waren.“

Mit Benedikt Saller kehrt ein Führungsspieler nach Rotsperre zurück in den Kader. Leon Guwara fehlt dagegen aus gleichem Grund noch für ein Spiel. Oscar Schönfelder kann mittlerweile wieder mit dem Team trainieren, für das HSV-Spiel wird es aber nicht reichen. Wastl Nachreiner trägt nach seiner Nasen-OP eine Schutzmaske, auch sein Einsatz ist eher fraglich. Bei Blendi Idrizi bestehe dagegen Hoffnung auf ein mögliches Comeback.

Jahn-Präsident bei der PK vor dem HSV-Spiel über die Trainer-Entlassung: „Jeder weiß, wie schmerzhaft das für mich war, dem Mersad diese Entscheidung mitteilen zu müssen.“ Foto: jrh

Präsident Hans Rothammer: „Treueschwur und Rolle rückwärts“

Die Pressekonferenz vor dem HSV-Spiel nutzt auch Jahn-Präsident Hans Rothammer, um die Geschehnisse der vergangenen Tage aus seiner Sicht zu schildern. Am Montag habe man sich nach langen Überlegungen und der Rostock-Reise – „acht Stunden Rückfahrt im Bus, da gewinnt man schon auch Eindrücke“ – dazu durchgerungen, „doch noch die letzte Patrone zu schießen, die wir noch haben, um den Klassenerhalt vielleicht doch noch zu schaffen, den letzten Impuls zu setzen, Mersad freizustellen, und einen neuen Trainer zu suchen“.

Die Dramaturgie von Montag bis Mittwoch

Das habe man in den Gremien im Laufe des Montagabends abgestimmt und auch deren Zustimmung erhalten. „So dass wir dann Tobias Werner damit beauftragt haben aus einer Liste – die ist ja nicht schwer anzufertigen – Kontakt mit Joe Enochs aufzunehmen.“ Das sei parallel noch am Montagabend passiert – mit der Bitte, ob er am Dienstagvormittag nach Regensburg kommen könne. „Dienstagvormittag habe ich dann mit Mersad gesprochen, Joe Enochs war dann am Nachmittag bei uns, und wir haben uns intensiv ausgetauscht.“

Man habe einander noch zwei, drei Stunden Gedankenpause gegönnt und dann im Laufe des Dienstagabends die Entscheidung getroffen, die Zustimmung der Gremien eingeholt und am Mittwochvormittag das Ganze dingfest gemacht. „Jeder weiß, wie schmerzhaft das für mich war, dem Mersad diese Entscheidung mitteilen zu müssen.“

Wie kam es zu dem Sinneswandel?

„Ihr habt das Sandhausen-Spiel alle gesehen, und da hat man nicht den Eindruck gehabt, dass wir alle PS auf den Rasen bringen, die wir haben.“ Rothammer habe auch mit Spielern gesprochen: „Man hat das Gefühl, dass da so eine kollektive Depression über der Mannschaft liegt, woher die auch immer kommen mag.“ Wenn man immer wieder höre, „ihr habt gut gespielt, ihr seid die bessere Mannschaft, aber man bringt keine Punkte mit nach Hause – das macht was mit den Spielern.“ Insofern sei der Impuls, dem Trainer den Rücken zu stärken, in der damaligen Situation richtig gewesen. „Wir haben die Diskussion mit dem Treueschwur nach dem Nürnberg-Spiel beendet, auch mit der Folge, dass wir zweimal gewonnen haben.“

„Dass dies dann nicht zum Erfolg geführt hat, in dem Ausmaß, wie wir uns das erhofft hatten, hat nichts mit der Arbeit des Trainers zu tun, sondern ist ein Sammelsurium von psychologischen Einflüssen, menschlichen Dingen, die da passiert sind, so dass wir dann die Rolle rückwärts gemacht haben.“ Das mache ja keinen Spaß, „das ist ja nicht vergnügungssteuerpflichtig, was da die letzten Wochen abgegangen ist, und es geht auch nicht darum, ob jemand von uns für jemand besondere Sympathien hat oder nicht, sondern es geht um das große Ganze und das muss man sehr verantwortungsvoll unter Hintanstellen des eigenen Ansehens und des eigenen Interesses wahrnehmen“.

Der letzte Tropfen nach Sandhausen und Rostock

Als er die Jobgarantie ausgesprochen habe, hatte Rothammer erwartet, dass die Mannschaft gut und engagiert spielt, „was sie auch getan hat – aber dass sie auch Ergebnisse bringt, und diese Ergebnisse sind in dem Ausmaß nicht eingetroffen“. Nach dem Sandhausen-Spiel sei man der Meinung gewesen, „das kann mal passieren, dass man eine schlechte Halbzeit spielt“. Im Rostock-Spiel sei es etwas besser gelaufen, „aber auch nicht so, wie man sich das erwartet hat“.

„Ich bin der Meinung bis einschließlich des Kaiserslautern-Spiels war die Leistung der Mannschaft in Ordnung, war auch die Einstellung in Ordnung, die Ergebnisse nicht so.“ Man könne zu jedem einzelnen Spiel etwas sagen, „aber weder der Trainer noch die Mannschaft konnten etwas dafür“. Da man sich aber davon auch nichts kaufen könne, sei es „unsere Verantwortung alles zu tun, aber wirklich auch alles zu tun, um alle Chancen noch zu wahren, die man hat, um die Liga noch zu halten“.

Was soll das jetzt noch bringen?

„In der Hoffnung, dass das die Reserven lockert, die erkennbar nicht mehr hochgekommen sind.“ Wobei Rothammer nicht das Gefühl hatte, „dass die Mannschaft nicht mehr will – auch im Bus und Hotel, ich hatte schon das Gefühl, alle wollen und alle sind engagiert, aber es gibt halt Situationen im Leben, da ist man blockiert im Kopf und wenn man blockiert ist im Kopf, dann laufen auch die Beine nicht so, wie man es gerne hätte.“

Ob es zuvor schon zwischen Trainer Selimbegovic und Sportchef Werner geknirscht hat? „Wo Menschen zusammenarbeiten, gibt es auch mal eine Auseinandersetzung“, räumt Rothammer ein. „Aber die sind alle sehr gesittet abgelaufen – es hat weder eine Rücktrittsforderung, eine Forderung von Mersad gegeben, Tobias Werner zu entlassen, noch hat es irgendein Kontaktverbot gegeben, das wäre ja noch schöner.“ Auf den Trainerwechsel habe dies keinen Einfluss gehabt: „Wir haben uns daran orientiert, wo ist die größte Wahrscheinlichkeit, die Klasse zu halten? Das hat zu dieser Entscheidung geführt.“

Keine einsame Entscheidung

Aus der Verantwortung für den Jahn heraus – „und das möchte ich ausdrücklich betonen, das ist keine einsame Entscheidung, von mir, von Philipp Hausner oder Tobias Werner gewesen, es sind in alle Entscheidungen seinerzeit und auch jetzt beide eingebunden, sowohl der Aufsichtsrat des e.V., sofern er zuständig ist, als auch der Aufsichtsrat der Kapitalgesellschaft – sei man nach dem Rostock-Spiel und der Situation, die sich daraus ergeben hat, zu dem Ergebnis gekommen: „Jetzt müssen wir etwas tun, um vielleicht diese Reserven zu mobilisieren.“

So gesehen gebe es dann nur „diese eine Option, die wir jetzt gezogen haben“. Auch die Entscheidung, Joe Enochs anzurufen hätten Philipp Hausner, Tobias Werner und Rothammer zusammen getroffen. „Joe Enochs war auf der Liste an erster Stelle, deshalb haben wir gesagt, jetzt reden wir erst mal mit dem.“ Das sei der Kandidat, „mit dem wir uns sehr gut vorstellen können weiterzuarbeiten – das ist dann auch wie ein warmes Messer durch die Butter gelaufen“.

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